EIN GUTER GEIST
In Triesenberg stand ein Bauernhaus, darin aber war ein Geist, und die
Leute bekamen es mit der Angst zu tun und zogen aus.
Ein armer Familienvater, der kein eigenes Haus besass, kaufte es um wenig
Geld, denn die Geschichte vom Geist hatte sich herumgesprochen, und niemand
wollte es erwerben. Seine Frau und die Kinder wollten nicht einziehen,
denn sie hatten Angst. Da sagte der Vater schliesslich: "Heute abend
schlafe ich allein in unserem Hause, und am Morgen werde ich euch sagen,
ob überhaupt ein Geist drin ist".
So ging er also am Abend in sein Haus. Als er eintrat, sah er wirklich
den Geist auf der Stiege sitzen. Mutig ging er auf ihn zu und sprach ihn
an: "Ich fürchte mich gar nicht vor dir, aber kannst du dich
nicht vor meiner Frau und den Kindern unsichtbar machen ?" Der Geist
antwortete: "Ja, das kann ich, und ich will es tun". Der Mann
legte sich zur Ruhe und schlief herrlich in der ersten Nacht im eigenen
Hause. Am Morgen ging er freudig zu seiner Familie und teilte ihr mit,
sie könnten ohne weiteres einziehen, es sei kein Geist zu sehen.
Sofort wurde übersiedelt. Die Frau und die Kinder bemerkten wirklich
nichts, der Vater aber konnte sehen, wie sie ahnungslos neben dem Geiste
vorübergingen.
Einmal sass der Mann im Wirtshaus; da klopfte es plötzlich am Fenster.
Der Geist war draussen und meldete, es sei Feuer in seinem Hause ausgebrochen.
Geist und Mann liefen zusammen heim, und es war wirklich so. Das Feuer
konnte gelöscht werden, bevor grosser Schaden entstand.
Der Bauer arbeitete im Walde. Wieder stand auf einmal der Geist vor ihm
und hiess ihn heimkommen, eine Kuh sei am Ersticken. Sie konnte gerade
noch gerettet werden.
Im Sommer musste der Familienvater einmal verreisen. Wie aus dem Boden
aufgetaucht, stand der Geist vor ihm und berichtete, dass seine Frau schwer
erkrankt sei.
Der Geist begleitete ihn und erzählte von seinem Schicksal: "Ich
habe zu meinen Lebzeiten dreimal armen Leuten nicht aus der Not geholfen,
und nun musste ich warten, bis ein Mensch kam, der mich nicht fürchtete
und dem ich dreimal aus der Not helfen konnte. Das ist nun geschehen.
Du sollst in deinem Leben glücklich sein, und ich bin erlöst".
Der Geist verschwand und kehrte nie wieder. Mann und Kinder pflegten die
Kranke. Sie wurde gesund, und die Familie lebte fortan glücklich
in ihrem Hause.
Quelle: Sagen aus Liechtenstein, Otto Seger, Nendeln/Liechtenstein,
1966/1980, Nr. 42