Lohengrins Ende in Lothringen
Als nun Loherangrin mit Zurücklassung des
Schwerts, Hornes und Fingerlins aus Brabant fortgezogen war, kam er in
das Land Lyzaborie (Luxemburg) und ward der schönen Belaye Gemahl,
die sich wohl vor der Frage nach seiner Herkunft hütete und ihn über
die Maßen liebte, so daß sie keine Stunde von ihm sein konnte,
ohne zu siechen. Denn sie fürchtete seinen Wankelmut und lag ihm
beständig an, zu Haus zu bleiben; der Fürst aber mochte ein
so verzagtes Wesen nicht gerne leiden, sondern ritt oft zu birsen auf
die Jagd. Solange er abwesend war, saß Belaye halbtot und sprachlos
daheim; sie kränkelte, und es schien ihr durch Zauberei etwas angetan.
Nun wurde ihr von einem Kammerweib geraten: wolle sie ihn fester an sich
bannen, so müsse sie Loherangrin, wann er müde von der Jagd
entschlafen sei, ein Stück Fleisch von dem Leibe schneiden und essen.
Belaye aber verwarf den Ratschlag und sagte: »Eh wollt ich mich
begraben lassen, als daß ihm nur ein Finger schwüre!«
zürnte dem Kammerweib und verwies sie seitdem aus ihrer Huld. Giftig
ging die Verräterin hin zu Belayens Magen, die dem Helden die Königstochter
neideten, und brachte ihnen falsche Lügen vor. Da beriet sich Belayens
Sippschaft, daß sie aus Loherangrin das Fleisch, womit allein Belayens
Not gelindert werden könnte, schneiden wollten; und als er eines
Tages wieder auf die Jagd gegangen und entschlafen war, träumte ihm,
tausend Schwerter stünden zumal ob seinem einzigen Haupt gezückt.
Erschrocken fuhr er auf und sah die Schwerter der Verräter. Alle
bebten vor dem Helden, mit seiner einen Hand erschlug er mehr denn Hundert.
Sie waren aber untereinander zu fest verbunden und ließen nicht
nach, ihn anzugreifen, bis ihm ihrer zuviel wurde und er eine Wunde durch
den linken Arm empfing, so schwer, daß sie kein Arzt heilen konnte.
Als sie ihn todwund sahen, fielen sie ihm alle zu Füßen, seiner
großen Tugend wegen. Belaye starb nach empfangener Todesbotschaft
alsbald vor Herzeleid. Loherangrin und Belaye wurden gebalsamt und zusammen
eingesargt, hernach ein Kloster über ihren Gräbern gebauet;
ihre Leichname werden da den Pilgrimen noch gewiesen. Das Land, vorher
Lyzaborie genannt, nahm von ihm den Namen Lotharingen an. Diese
Begebenheit hat sich ereignet nach Christi Geburt fünfhundert Jahr.
Kommentar: Nach dem
Titurel. Vergl. Fürtrer, bei Hofstäter, II, 174 - 182.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm),
Kassel 1816/18, Nr. 537