Das Hemdabwerfen
      
Zu Coburg saßen 
        am Weihnachtsabend mehrere Mädchen zusammen, waren neugierig und 
        wollten ihre künftigen Liebhaber erkundigen. Nun hatten sie tags 
        vorher neunerlei Holz geschnitten, und als die Mitternacht kam, machten 
        sie ein Feuer im Gemach, und die erste zog ihre Kleider ab, warf ihr Hemd 
        vor die Stubentüre hinaus und sprach bei dem Feuer sitzend: 
		 
      
      »Hier sitz ich splitterfasenackt und bloß,
wenn doch mein Liebster käme
und würfe mir mein Hemde in den Schoß!«
Hernach wurde ihr das Hemd wieder hereingeworfen, 
        und sie merkte auf das Gesicht dessen, der es tat; dies kam mit dem überein, 
        der sie nachdem freite. Die andern Mädchen kleideten sich auch aus, 
        allein sie fehlten darin, daß sie ihre Hemden zusammen in einen 
        Klump gewickelt hinauswerfen. Da konnten sich die Geister nicht finden, 
        sondern huben an zu lärmen und zu poltern, dermaßen, daß 
        den Mädchen grausete. Flugs gossen sie ihr Feuer aus und krochen 
        zu Bette bis frühe, da lagen ihre Hemden vor den Türen in viel 
        tausend kleine Fetzen zerrissen.
      
Kommentar: 
        Prätor.: Weihnachtsfratzen, Nr. 62.
        Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm), 
        Kassel 1816/18, Nr. 117.