DER MÜHLKNECHT MARTIN HEIN LÄSTERT DEN WILDEN JÄGER

In der alten Heidemühle nahe der Todbrücke bei Ullersdorf diente vor vielen Jahren der Mühlknecht Martin Hein. Er war ein braver Bursche, arbeitete für zwei und hatte das Sägewerk und den Mahlgang stets in Ordnung. Mit dem Mühlrad sprach er, als sei es sein bester Freund. Die starken Stämme, die er durch die scharfen Zähne des Gatters schob, waren für ihn nicht tot. Mit ihnen hielt er Zwiesprache über die Vergänglichkeit alles Irdischen. Aber der Mühlknecht hatte auch einen Fehler: Es kam zwar selten vor, doch wenn er einmal ausging, dann vergaß er gar zu leicht das Heimgehen. In durstiger Gesellschaft zechte er bis zum frühen Morgen und lange noch in den neuen Tag hinein. Einst wanderte Martin Hein am Silvestermorgen nach Altendresden. Dem Müller hatte er versprochen, um Mitternacht wieder daheim zu sein. Doch der hatte nur gelacht und gesagt: "Lauf nur zu, einen Schlüssel wirst du halt wieder nicht brauchen!" Die blanken Stiefel stapften durch den Neuschnee, und das bunte Halstuch fiel unterm Knoten gefällig auf die rote Weste. Mancher harte Taler steckte in dem ledernen Beutel. Heute wollte sich der Müllerbursche wieder einmal einen guten Tag machen, war er doch seit der Kirmes zu Erkmannsdorf nicht mehr aus dem Haus gekommen. Den derben Ziegenhainer in der Hand, die halblange Pfeife zwischen den Zähnen, so schritt Martin über Bühlau zur Stadt. Daselbst besorgte er zunächst seine Einkäufe, denn es war Sitte, dem Herrn und seiner Familie ein Geschenk mitzubringen. Für sich selbst kaufte er einen guten Knaster. Dann kehrte er im Brauhaus auf der Meißner Gasse ein, und bestellte vorerst einen warmen Korn. Bald saß er mitten in einer feuchtfröhlichen Runde. Lustig kreisten die Gläser, und als der Wirt die Lampe anbrannte, war der Müllerbursche schon gehörig "im Dampf". Ans Heimgehen dachte Martin noch lange nicht. Gegen elf Uhr abends wankte der bezechte Gast endlich nach Hause, denn er wollte zur Jahreswende in der Mühle sein. Aus der linken Rocktasche guckte der Hals einer Flasche hervor. Um schneller daheim zu sein, wollte der Müllerbursche den Weg abkürzen und stapfte quer durch die Heide. Laut heulte der Sturm in den Kronen der Bäume, krachend stürzten die dürren Äste auf den glashart gefrorenen Boden. Der Wilde Jäger hielt seinen Umgang. Auch dem Martin pfiff der Wind um die Nase, und am Bart hingen schon kleine Eiszapfen. Auf einem Waldweg machte er halt. "Immer ruhig Blut", meinte Martin und nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche. "Ach, das tut gut! Gleich noch einen! Wilder Jäger, sollst leben! Komm, teil mit mir die Flasche, du Schreckgeist ängstlicher Weiber!", schrie er mit lauter Stimme. Und wie er zum neuen Schluck ansetzte, brauste plötzlich der Wind mit starker Macht daher. Niederes Buchengeäst peitschte ihm ins Gesicht, und über die Heide klang's wie Hundegebell und Schlachtgetöse. Dicht neben Hein fällte der Sturm eine morsche Kiefer. jetzt lief es ihm doch eiskalt über den Rücken. Mit mächtigen Sätzen sprang er durch den Wald. Der Hut flog ihm vom Kopf, und als er nicht auf den Weg achtete, stolperte er und fiel hin. Dabei ging die Flasche in Scherben. Aber rasch war er wieder auf den Beinen und stürzte ohne Besinnen weiter. Schon sah er von weitem das Licht der Mühle. Er rannte darauf los, daß ihm der Atem nur so flog. Laut ächzten die knorrigen Kiefern, immer toller wurde der Sturm. Kein Zweifel, der Wilde Jäger wollte sich an dem Frevler rächen. Der aber langte mit letzter Kraft am Tor der Mühle an und schlug mit der Faust gegen die Eichentür, daß es im ganzen Haus widerhallte. Da wurde Licht im Hausflur. "Was ist denn los?", dröhnte des Müllers Stimme. Dann ging die Tür auf, und der Knecht schlich ins Haus. "Du meine Güte! Martin, bist du's? Wie siehst du denn aus? Komm schnell in die Stube!" Der Müller schob den zitternden Gesellen in die Wohnstube. Die Frauen erschraken ob seines verwilderten Aussehens. "Ich will euch ja alles erzählen, nur laßt mich erst ein wenig verschnaufen", kam es stoßweise von seinen Lippen. Die Hausfrau gab ihm schnell ein Glas mit heißem Punsch. Die Tochter nahm ihm die nasse Joppe ab und brachte aus Vaters Schrank eine wollene Jacke. Martin sagte schließlich sein Neujahrssprüchlein auf und verteilte umständlich die Neujahrsgeschenke. Nachher mußte er erzählen. Er schilderte auch haarklein alles, was sich zugetragen hatte. "So was kann vorkommen, wenn man im Dampf ist", meinte der Müller trocken. "Laßt nur den Wilden Jäger aus dem Spiel, der hat schon manchem eins ausgewischt." Dann saßen die vier noch lange gemütlich beisammen. Der Müllerknecht merkte sich aber die Abfuhr gar wohl und wurde von Stund an ein anderer. Später heiratete er die Tochter des Meisters, und beide lebten noch lange glücklich in der Mühle. Wenn der junge Müller aber einmal in Geschäften über Land mußte, dann sagte die Frau jedesmal mit verschmitztem Lächeln: "Martin, denk' an den Wilden Jäger!"

Quelle: Email-Zusendung von Octapolis, 30. März 2003