Der Goldschmiedsgesell.
Mündlich in Eldagsen.
Es war einmal ein König, der wollte mit seiner Gemahlin zum Jahrmarkt und fragte deshalb seine drei Töchter, was er ihnen mitbringen solle. »Ein goldenes Spinnrad« sagte die eine, »einen goldenen Haspel« die andere, »eine goldene Garnwinde« die dritte. »Das sollt ihr haben«, sagte der König, »und noch mehr«, setzte die Königin hinzu; »dafür«, meinte der König, »müßt ihr nun aber auch versprechen, daß ihr nicht in den Garten gehen und keine Blumen von dem Rosenbusch abpflücken wollt, der dicht am Wege steht; denn wenn ihr das thätet und darauf röchet, so wär' es ein großes Herzeleid.« Sie sagten: »Wir wollen es nicht thun, ganz gewis nicht«, und getrost reisten die Eltern ab. Als die Töchter zu Mittag gegeßen hatten, sagte die eine, ich weiß nicht mehr welche, zu den beiden anderen: »Die Sonne scheint so schön, und die Vögel singen so lustig, laßt uns ein wenig hinunter in den Garten gehen; die übrigen Blumen dürfen wir ja besehen und abpflücken, und um die Rosen brauchen wir uns ja nicht zu kümmern.« Die anderen waren's gern zufrieden, und so hüpften und sprangen sie die marmorne Treppe hinab und flatterten von Blume zu Blume wie die Schmetterlinge. Als sie sich an den anderen Blumen müde gesehen hatten, sprach die eine: »Besehen dürfen wir die Rosen wohl, das kann ja nicht schaden, und Rosen sehen doch am allerbesten aus!« »Das thun sie auch«, sagte die andere, »aber abpflücken dürfen wir keine.« »Ja nicht«, sagte die dritte, »der Vater hat's verboten.« Und sie giengen hin; ihr Herz klopfte zwar etwas heftig, sie giengen aber doch hin. Und sie konnten sich gar nicht satt sehen an dem wunderschönen Rosenbusch; drei Rosen aber waren die allerschönsten, und die saßen zusammen an einem Zweige und standen wie ein Kleeblatt dicht neben einander, und es war ihnen fast, als wären's Augen gewesen und sähen sie an. Endlich giengen sie langsam weg, kehrten aber bald rasch zurück; zum zweitenmal gieng's noch langsamer fort und noch rascher zurück, und zum drittenmal - ja, da giengen sie eigentlich gar nicht weg, sondern kehrten sich nur um und wieder um, und jede brach eine von den drei Rosen, und hat man erst eine Rose in der Hand, da laße einer das Dranriechen! Die drei Königstöchter wenigstens konnten's nicht laßen; sie rochen daran, und im Nu waren sie von der Erde verschwunden und im Schloße des unterirdischen Königs. Da jammerte alles Gesinde und am meisten, wenn sie daran dachten, wie der König und die Königin jammern würden. Und es war auch kläglich anzusehen, wie diese des Abends vergnügt heimkehrten und die Geschenke selber die Marmortreppe hinauf trugen, und nun niemand war, der sich darüber freute; denn wenn den Kindern die Eltern genommen werden, so ist das schon ein, wenn aber den Eltern so auf einmal alle Kinder fortgegangen sind, so ist noch viel größer Herzeleid.
Als sie sich ein bißchen wieder gefaßt hatten, wenigstens der König, die Königin grämte sich zu Tode, schickte jener Läufer durch alle Lande und ließ bekannt machen: »Meine Töchter sind abhanden gekommen; wer sie wiederfindet, soll die älteste zur Gemahlin haben und nach mir König werden.« Söhne nämlich waren nicht da. So gern nun jeder König geworden wäre, so meldete sich doch niemand; denn nirgends im Lande waren die drei Königstöchter zu hören und zu sehen, und du weißt recht gut, warum nicht. So rief denn eines Tags der König seinen Kutscher und seinen Bedienten herein und sagte zu ihnen: »Nehmt mein eigen Gespann, ich gehe derweil zu Fuß, und laßt euch so viel Gold geben, als ihr wollt, und suchet meine Töchter überall; vielleicht, daß ihr sie findet.« »Wir wollen's versuchen«, erwiderten sie, thaten, wie ihnen geboten worden, und fuhren ab. Als sie etwa zwei Pfeifen Tabak gefahren waren, sahen sie im Graben einen Handwerksburschen sitzen und fragten ihn nach seinem Gewerbe, und wohin er wolle. »Ich bin ein Goldschmied«, sagte er, »und suche die drei Prinzessinnen.« »Das thun auch wir«, versetzten jene; »so können wir ja zusammen reisen.« Der Goldschmied war's zufrieden; »doch«, sagte er, »so geht's nicht! Da vor uns liegt ein großer Wald; drum haltet euch ja an Lebensmittel.« Als jene hierauf mit ihren Goldstücken klimperten, fuhr er fort: »An Gold könnt ihr doch nicht anbeißen, und zu kaufen giebt's dort nichts.« »Ei«, meinten jene, »wir haben noch schöne Sachen aus der Königsküche, und die Pferde ziehen schon was weg in einem Tage«; so fuhren sie sorglos weiter, kamen aber mit dem Handwerksburschen überein, sie wollten im Schatten eines Baumes so lange warten, bis er nachkomme. Während sie da nun sich lagerten und das feine Backwerk und das süße Getränk verzehrten, was ihnen die todkranke Königin eigentlich für die Töchter mitgegeben hatte, die Pferde graseten munter umher; gieng der Goldschmied in ein nahes Dorf, klopfte an alle Thüren, füllte sein Felleisen mit Brod und gesellte sich bald wieder zu ihnen. Da schirrten sie die Thiere an und fuhren weiter. Sie fuhren aber immer zu, die ganze Nacht und den ganzen Tag, und der Wald ward noch immer dichter, und nimmer zeigte sich ein Ende; sie wurden müde und machten Halt, sie wurden hungerig und sättigten sich, und fuhren ebenso die zweite Nacht und den zweiten Tag und ruhten aus. Mit dem Satteßen war's aber für Kutscher und Bedienten aus; denn ihre leckere Speise war verzehrt, und als der Goldschmied ihnen von seinem Vorrath anbot, antworteten sie: »So hoch hat Gott uns noch nicht gestraft, daß wir Bettelbrod eßen sollten!« Jener machte sich nichts daraus, aß sein Bettelbrod, trank klares Waßer dazu und sang und pfiff, daß es eine Lust war, wenigstens für ihn, wenn auch nicht für die beiden anderen; denn die gönnten ihm nicht, daß er satt und fröhlich war. Am dritten Tage bot er ihnen wieder von seinem Bettelbrod an, und nun mußten sie sich schon bequemen; doch sträubten sie sich wieder noch ein wenig und sagten: »Für umsonst nehmen wir nichts; wenn du uns aber davon verkaufen willst, so mag es gehen.« »Da sei Gott für!« versetzte jener; »umsonst hab' ich's empfangen, umsonst geb' ich's wieder weg, oder gar nicht.« So langten sie denn zu, und das Bettelbrod schmeckte ihnen wunderschön.
Gegen Abend kamen sie endlich aus dem Walde heraus und trafen auf ein kleines Haus. »Da endlich wird's was Beßeres geben, als Bettelbrod!« sagten Kutscher und Bedienter; »nun wollen wir dich einmal frei halten!« Sie fuhren hinzu, aber keine Mutterseele ließ sich sehen; sie giengen hinein, suchten alle Zimmer durch, fanden jedoch kein lebendes Wesen drin. So ward denn wieder zum Bettelbrod gegriffen, und alle schliefen ein. Am andern Morgen, als sie abermals das Haus durchsuchten, fanden sie allerlei ungekochtes Gemüse, auch brannte ein Feuer auf dem Herde; da wurden sie eins unter einander, Kutscher und Goldschmied sollten auf die Jagd gehen, der Bediente hingegen, der sich nicht gern rühren mochte, solle zu Hause bleiben und ein Mittagsmahl zubereiten; und sie thaten also. Zuerst besah sich der Bediente alle Zimmerchen, und damit gieng der Morgen fast hin; als er endlich in die Küche gieng und von dem blank geputzten Geschirr nahm, Gemüse hinein that und aufs Feuer setzen wollte, bekam er, die Sonne stand gerade mitten am Himmel, bekam er plötzlich solche Ohrfeigen, rechts und links, rechts und links, daß ihm Hören und Sehen vergieng, und er von der einen Seite zur andern flog. Voll Entsetzen flüchtete er sich in die Stube, und siehe! vor ihm stand der Zwergkönig, sah ihn grimmig an und brummte: »Was thust du in meinem Hause? Was thust du in meinem Hause?« »Bist du's gewesen, der mich geschlagen?« kreischte der Bediente; »dich klabautermännchen will ich schon über Bord kriegen!« und nun fielen sie über einander her, hast du nicht, so kannst du nicht, und rupften sich und balgten sich; bald aber gieng dem Bedienten der Athem aus, und der Zwergkönig stieß ihn von einer Ecke in die andere und ließ ihn für todt liegen. Als die beiden anderen nach Hause kamen, sie hatten nichts geschoßen, fanden sie den Bedienten noch im Winkel liegen, ganz lahm und zerstoßen. »Mensch, was fehlt dir?« fragten sie. »Ich bin krank geworden,« log jener. »Nun,« meinte der Goldschmied, »dem Menschen kann bald was zustoßen.« Hierauf brachten sie ihn zu Bett, aßen vom Bettelbrod, das schon schimmelig wurde und ihnen doch schmeckte, auch dem Kutscher, und legten sich danach aufs Ohr.
Am andern Morgen, als die Sonne aufstand, weckte der Handwerksbursch die beiden anderen und sagte: »Heute laßt uns aber ernstlich an Speise denken; denn mit meinem Brod ist's bald aus und vorbei.« Der Kutscher stieg, der Bediente kletterte aus dem Bett, und nun wurden sie eins, der Kutscher soll zu Haus bleiben, die beiden anderen sollen ihr Heil auf der Jagd probieren. Gern wäre der Bediente daheim geblieben; doch die Knüffe und Püffe - nein, lieber mitgehumpelt! Er war aber ein böser, böser Mensch; deshalb sagte er von seinem Unglücke kein Sterbenswörtchen, auch dem Kutscher nicht, lachte vielmehr ins Fäustchen und dachte: »Was dem einen recht ist, ist dem andern billig.« Während die Jäger draußen umherirrten, wollten sie eben zuschießen, husch! war das Wild fort, wollten sie Beeren pflücken, hui! war's eine häßliche Spinne; schnoperte der Kutscher das Haus durch, Zimmerchen um Zimmerchen, und als er endlich, die Sonne stand wieder gerade mitten am Himmel, in die Küche gieng, von dem blank geputzten Geschirr nahm, Gemüse hinein that und aufs Feuer setzen wollte, bekam er plötzlich solche Ohrfeigen, rechts und links, rechts und links, daß ihm Hören und Sehen vergieng, und er von der einen Seite zur andern flog. Voll Entsetzen flüchtete er sich in die Stube, und siehe! vor ihm stand der Zwergkönig, sah ihn grimmig an und brummte: »Was thust du in meinem Hause? Was thust du in meinem Hause?« »Bist du's gewesen, der mich geschlagen?« schrie der Kutscher; »dich Knirps soll der Kukuk!« und nun fielen sie über einander her, und nun gieng's dem Kutscher ebenso schlimm wie dem Bedienten: zerstoßen, zerkratzt, windelweich geschlagen, fiel er wie gerädert in eine Ecke. Als die beiden anderen nach Hause kamen, sie hatten nichts geschoßen, fanden sie den Kutscher für todt im Winkel liegen. »Mensch, was fehlt dir?« fragten sie. »Ich bin krank geworden«, log jener. Der Bediente lachte und freute sich erst recht auf morgen; der Goldschmied aber sagte: »Nun, dem Menschen kann bald was zustoßen!« Sie brachten ihn zu Bette, aßen das letzte Bettelbrod auf, in dem schon Maden saßen, das ihnen aber doch schmeckte, auch dem Bedienten, und legten sich danach aufs Ohr.
Am andern Morgen, als die Sonne aufstand, weckte der Handwerksbursch
die beiden anderen und sagte: »Mein Brod ist verzehrt bis auf die
letzte Rinde; also laßt uns auf anderes Eßen denken. Und da
euch beiden was zugestoßen ist, denk' ich, bleib' ich heute zu Haus,
und ihr geht auf die Jagd.« Des waren sie froh und humpelten fort.
Erst giengen sie stumm neben einander; endlich sagte der Bediente: »Nun
kommt die Reihe an ihn!« »Ja, nun kommt die Reihe an ihn!«
versetzte der Kutscher; und als sie merkten, daß es ihnen beiden
ganz gleich ergangen sei, klagten sie sich ihre Noth und freuten sich
nur, daß sie's schon überstanden hätten, während
der Handwerksbursch erst noch hindurch müße. Auch wurden sie
eins, sie wollten sich hinlegen und schlafen, denn es hülfe alles
Jagen doch nicht; in nächster Nacht aber wollten sie den lahmen Goldschmied
zurücklaßen und sich mit dem Gespann aus dem Staube machen.
Und sie legten sich ins Gras und schliefen ein. Unser Goldschmied derweil
besuchte alle Zimmerchen, fand auch einen Weinkeller, der offen stand
und voll besten Weines war, und den die anderen nicht gefunden hatten;
dann gieng er in die Küche, und siehe! hier kochte und schmorte es
schon, daß es eine Art hatte, die Aale wälzten sich in der
Pfanne, die Suppe schäumte, die Erbsen platzten, der Bratspieß
drehte sich von selbst, kurz, es rumorte darauf los, als sollte Hochzeit
sein. An Ohrfeigen war auch nicht zu denken; als aber die Sonne gerade
mitten am Himmel stand, kniff es den Goldschmied ins Bein. Erschreckt
sah er sich um, und vor ihm stand der Zwergkönig, ernst, doch nicht
grimmig, und sprach: »Schöne Geschichte das! zwei hab' ich
schon abgeprügelt, und nun kommt noch der dritte!« »Liebes
Gevatterchen«, sagte der Handwerksbursch, »um Prügel
ist mir's weniger zu thun, als um Eßen, das kannst du glauben! Die
letzte Rinde ist verzehrt; und wolltest du uns nur das laßen, was
hier kocht und schmort, so würdest du uns einen großen Gefallen
erweisen; denn der Hunger thut gar zu weh!« Zwergkönig antwortete:
»Dir hab' ich's gleich angesehen, daß du beßer bist;
du bittest doch noch vernünftig, wenn du was haben willst. Behalte
es denn; aber die beiden verwegenen Bunken sollen nichts abhaben!«
»Liebes Gevatterchen«, erwiderte der Handwerksbursch, »es
ist ja nur ihre Dummheit; vergieb es ihnen also.« Der Zwerg murmelte
was in den langen Bart und zeigte hierauf dem Goldschmied alle Zimmer
und alle Schätze und erlaubte ihm, hier zu bleiben, so lange er wolle,
und zu sieden und zu kochen, so viel ihm beliebe. »Das ist recht
dankenswerth«, meinte der Handwerksbursch, »wo sollen wir
aber Holz hernehmen?« Der König wies auf den Hof, wo Baum an
Baum lag. »Liebes Gevatterchen«, sagte der Goldschmied, »das
ist aber nicht gespalten!« »Hier ist ein Beil«, entgegnete
der Zwerg und zog ein funkelnagelneues aus der Tasche, »spalte!«
Der Handwerksbursch versetzte: »Vier Hände können mehr
als zwei, und die Bäume sind dick; wolltest du mir nicht ein wenig
helfen?« »Auch das noch?« brummte der Zwerg; »nun,
meinetwegen ans Werk!« und langte ein zweites Beil aus der Tasche.
Hierauf spalteten sie einen Baum und noch einen und giengen an den dritten.
Eben hatte der Zwerg einen dicken Keil hineingetrieben und lehnte sich
über den Baum, um die Axt aufzunehmen; da gerieth sein langer Bart
in die Spalte, der Handwerksbursch zog flugs den Keil heraus, und fest
saß der Zwerg und heulte und stöhnte. »So wärst
du also gefangen!« sagte der Goldschmied, »nun bekenne, wo
hast du die drei Königstöchter! Meine Base, die dir wohl noch
bekannt sein wird, hat mir gesagt, du habest sie geraubt; sie wieder zu
holen, bin ich hier. Wo sind sie? Bekenne, oder du bist auf ewig gefangen.«
Der Zwerg wand und krümmte sich, bat um Befreiung, versprach alles,
kam jedoch nicht eher los, als bis er bekannte: »Die drei Prinzessinnen
sind in meinem Schloß. Hier hast du einen Zauberstab; geh damit
in die Mitte des Waldes, dahin, wo er sich mit der Spitze zur Erde neigt.
Da brich ihn dreimal durch; dann öffnet sich die Erde, und du wirst
weiter sehen. Und hier hast du einen Bindfaden, zweimal sechsundachtzig
Klafter lang; so tief geh, aber tiefer nicht.« Der Goldschmied dankte,
trieb aufs neue den Keil hinein, und verschwunden war der Zwerg. Kaum
war jener im Hause, die Sonne wollte schon
untergehen, als der Bediente und der Kutscher heulend hereinstürzten:
»Es hat uns jemand schrecklich am Barte gezupft, die Ohren gerieben
wie nichts Guts, und ist doch niemand dagewesen; es muß der Zwergkönig
gewesen sein!« Er war es auch gewesen. Wie aber staunten sie, als
sie den Goldschmied frisch und munter fanden, die Tafel gedeckt, die Schüßeln
dampfen, die Tische von Speisen und süßem Wein knacken! Sie
fragten und fragten, aber der Goldschmied sagte nichts; so aßen
und tranken sie, bis sie müde wurden und ins Bett taumelten.
Nun blieben sie hier eine Woche und noch eine und noch eine, zwei schlenderten
umher, einer kochte und besorgte den Tisch, und so alle Tage umschicht,
und lebten in Saus und Braus; der Kutscher und der Bediente dachten weder
an den Vater, der auf seine Kinder hoffte, die Mutter war todt, noch an
die Töchter, die vielleicht auch nicht lauter Freude hatten; der
Goldschmied aber dachte an alles, so wohl es ihm hier gefiel. Endlich
sprach er: »Ich schlage vor, wir bekümmern uns nun einmal um
die drei Prinzessinnen!« Die anderen wollten erst nicht; als sie
aber sahen, daß es jenem Ernst damit war, und er allein fort wollte,
sagten sie: »Nun, so wollen wir sie suchen; finden wir sie aber
nicht, kommen wir hieher zurück, denn hier ist's wohl sein!«
Der Handwerksbursch schlug vor: »Wir ziehen jeder unsere Straße«;
dagegen sträubten sich die anderen, und so fuhren sie zusammen in
den Wald. Als sie die Mitte desselben erreicht hatten, kehrte sich das
Stäbchen mit dem einen Ende zur Erde; der Handwerksbursch wollte
es gerade halten, es gieng nicht; die anderen faßten es mit an,
es neigte sich. Nun nahm es der Goldschmied und brach es dreimal durch;
beim erstenmal krachte es in der Erde, beim zweitenmal barst sie ein wenig
auf, beim drittenmal that sie sich aus einander und zeigte eine lange
Wendeltreppe von weißem Marmor. »Wer will hinein?« fragte
der Goldschmied; keiner meldete sich. So hieß er jene den Bindfaden
fest halten, und sie thaten's auch; er selber stieg hinab, bis der Faden
zu Ende war. Da fand er unten ein wunderschönes Schloß mit
hohen Thürmen und hellen Fenstern, und als er anklopfte, sprang das
Thor auf, und er gelangte über einen großen Hof, wo alles still
und öde war. Vor der Hausthür standen Posten, langbärtige
Zwerge, die waren fest eingeschlafen; er zupfte sie am Bart, er rief und
schüttelte sie, sie schliefen weiter. Er klopfte an die Thür,
sie drehte sich knarrend in den Angeln, und er kam in ein schönes
Zimmer, in welchem es hell war von den Waffen an der Wand, so leuchteten
sie; Zwerge waren auch genug da, sie schliefen aber und antworteten nichts.
So war's auch im zweiten Zimmer, und als er die Küchenthür öffnete,
er gieng aber nicht hinein, sah er, wie selbst die Flamme schlief, und
er dachte bei sich: »Komische Wirthschaft das!« Am andern
Ende des zweiten Zimmers war aber eine große, große gläserne
Thür, die führte in einen großen, großen Saal; hier
blieb er stehen, blickte hindurch und sah dann die drei Königstöchter
an einem Tische sitzen, und sie waren erschrecklich blaß und weinten,
und die älteste hatte den Zwergkönig auf dem Schoß, und
auch dieser schlief und schnarchte. Der Goldschmied klopfte leise an;
da kam die zweite herbei geschlichen und erkundigte sich, wer er sei,
und was er wolle. Er antwortete: »Wir suchen euch. Eure Mutter ist
gestorben vor Gram; euer Vater lebt noch und hofft auf eure Wiederkehr.«
Da sagte es die zweite den beiden anderen, und alle weinten; die älteste
aber sprach: »Es geht nicht! der Zwergkönig läßt
uns nicht weg, es wäre denn, daß du ihn tödtetest.«
Als der Goldschmied dazu bereit war, holte die jüngste ihm ein blankes
Schwert von der Wand, die beiden anderen ließen den Kopf des Königs
sacht auf einen Stuhl gleiten, und - »hau ihn ja zum erstenmal ab!«
- flüsterte noch die älteste, da rollte schon der Kopf im Saal
umher, der Rumpf zuckte am Boden, und das Blut spritzte bis an die Decke;
und als der König starb, hörten sie draußen ein Gepolter
und Geseufze, und als sie zusahen, waren alle Zwerge todt niedergefallen,
das Feuer war aus, und alles war still wie im Grab. - Die drei Schwestern
freuten sich, bedankten sich und sagten: »Du hast uns erlöst;
aber drei Tage müßen wir hier noch bleiben, sonst müßten
wir auch sterben. So komm denn über die Zeit wieder und hole uns!«
Und zum Zeichen gab ihm die älteste eine goldene Sonne, die zweite
einen goldenen Mond und die dritte einen goldenen Stern; an allen aber
stand der Name des Königs. Der Handwerksbursch versprach es, entfernte
sich, stieg die Wendeltreppe hinauf, und die Erde schloß sich nicht
wieder.
Oben angelangt, erzählte er den beiden Gefährten alles, wie
sich's zugetragen hatte; nur von den drei Zeichen sagte er ihnen nichts.
Da wurden sie lustig über die Maßen, sprangen in den Wagen
und ließen den Goldschmied zu Fuße nachkommen; dieser aber
dachte: »Fahrt nur zu!« Unterwegs verbrachten jene alles Geld,
das ihnen der König mitgegeben hatte, und fuhren jubelnd vors Schloß,
wo sie mit ihrem Bericht alles heiterer stimmten, besonders den König.
Am andern Tage kam auch der Handwerksbursch; er hatte sich wieder Brod
gebettelt und die Nacht unter freiem Himmel zugebracht. Als er dem König
alles haarklein erzählte, und wie die Töchter so blaß
und traurig wären, da meinte schon der König: »Er ist
der Rechte«; als er nun aber noch die drei Zeichen vorwies, da sagte
der König: »Du bist der Rechte; du sollst die älteste
Tochter zur Gemahlin haben und König werden.« »So erlaubt
mir, Herr König,« versetzte der Goldschmied, »daß
ich zuvor meine alten Eltern wiedersehe und mir deren Segen hole.«
Des war der König zufrieden; »komm aber ja zur rechten Zeit
wieder«, fügte er hinzu. »Wenn ich kann!« meinte
jener und zog seine Straße. Er konnte aber nicht; denn seine Mutter
war krank, und sie wollte er erst genesen sehen, worüber Woche auf
Woche vergieng.
Am dritten Tage, als der Goldschmied nicht wiedergekommen war, sandte
der König den Kutscher und den Bedienten los mit vielen Soldaten,
die drei Töchter zu holen. Sie fanden auch die Stelle wieder, stiegen
hinab zu den Königstöchtern und bedroheten sie: »Wenn
ihr nicht sagt, daß wir euch erlöst haben, so müßt
ihr alle sterben.« Die Prinzessinnen erschraken und besannen sich;
die beiden Schurken schnitten aber so grimmige Geberden, daß sie's
versprachen. So fuhren sie denn zusammen ins Schloß, und da war
lauter Freude und Wonne; auch kamen viele Fürsten, um dem Könige
und den Prinzessinnen Glück zu wünschen. Nach mehreren Wochen,
als der Goldschmied immer nicht wiederkam, und die beiden anderen immer
stärker auf den König eindrangen, er solle sein Versprechen
erfüllen, sie selber wollten um die älteste Tochter loosen,
bestellte jener eine große Versammlung, beschied auch den Kutscher
und den Bedienten dahin sammt den drei Töchtern und fragte, wer diese
erlöset habe. »Der Kutscher und der Bediente«, sagte
die älteste, und die beiden andern bejaheten es. Der König merkte
die Schurkerei; was wollte er aber machen? er setzte die Hochzeit fest.
Da jammerte die älteste Tochter und bat, noch ein wenig zu warten;
eben sei ja erst die Mutter gestorben, und da könnten sie noch nicht
tanzen. Der König willigte ein. Nach vier Wochen, als der Kutscher
und der Bediente immer lauter wurden und auf ihr Recht pochten, berief
der König wieder eine Versammlung und bestimmte nun die Hochzeit
auf den siebten Tag; »länger«, sagte er, »warten
wir aber nicht« und dachte, »vielleicht ist der Goldschmied
ein Schelm, denn er kommt ja nicht wieder, und da hat einer der anderen
die Krone verdient.« Die älteste Prinzessin weinte und rang
die Hände, denn sie hatte den Goldschmied sehr lieb, und immer wollte
er noch nicht kommen. Sie sah auch Tag und Nacht vom hohen Schloß
herab, sie sah sich fast die hellen Augen blind; aber immer wollte der
Goldschmied nicht kommen. Am Morgen des siebten Tags, der Bediente, denn
ihn hatte das Loos getroffen, war schon stattlich herausgeputzt, die unglückliche
Braut aber schlummerte noch, am Morgen des siebten Tags ward's laut vor
dem Thor; die Braut fuhr aus wirren Träumen auf und sah hinunter;
und siehe! der Goldschmied, schmuck angezogen und wunderschön von
Gestalt, stritt mit den Posten, die ihn nicht einlaßen wollten.
Da konnte sie sich nicht mehr halten; »das ist der Rechte!«
rief sie aus dem Fenster; »der Rechte ist da!« rief sie ihrem
Vater in die Kammer. Der Goldschmied kam herein, und alle bewunderten
den schmucken, schlanken Jüngling. Nun gieng's ans Erzählen,
und der Goldschmied sagte: »Ich wollte nicht ohne meine Eltern Hochzeit
halten; dort kommen sie nachgefahren.« Der König freute sich
und sagte: »Ist das der Rechte?« »Ja, das ist der Rechte!«
riefen die Prinzessinnen, »das ist unser lieber Erlöser!«
»Nun«, sagte der König zur ältesten, »so heirate
du diesen.« Hierauf mußte der Goldschmied abtreten, und der
Kutscher mit dem Bedienten hereinkommen; und der König fragte sie:
»Was verdient der, der seinen Herrn und König betrügen
will?« Sie wußten nicht, daß der Goldschmied da sei,
und meinten, der König denke an diesen, und so antworteten sie: »Daß
er von vier Pferden aus einander gerißen werde!« »Ihr
habt euch selbst das Urtheil gesprochen; führt sie zum Tode, Soldaten!«
Der Goldschmied hatte es nebenan gehört und stürzte hervor und
bat für sie; der König jedoch, so gern er ihm sonst einen Gefallen
gethan hätte, mußte es ihm abschlagen, da die beiden zu ruchlos
gewesen waren, und so wurden sie von vier Pferden aus einander gerißen.
Der Goldschmied aber heiratete die älteste Prinzessin, erhielt nach
des alten Königs Tode die Krone, und sie haben lange glücklich
mit einander gelebt.
Quelle: Märchen und Sagen aus Hannover, Carl
und Theodor Colshorn, Hannover 1854, Nr. 1, S. 1 - 12.