DER HEINRICHSWINKEL

Nicht weit hinter dem Harzstädtlein Gittelde, das manche auch Gattelde schreiben und Gittel sprechen und das in alten Zeiten Chatila geschrieben ward, nach der Staufenburg zu, da liegt der merkwürdige Raum, auf welchem des Sachsenherzog Heinrich des Finklers Vogelherd stand, als ihn die Abgesandten des Reichs aufsuchten und die Kaiserkrone ihm darboten. Dort saß Heinrich mit seinem Gemahel im lauschigen Winkel einer grünen Laube, und als er die Gesandten nahen sah und wußte nicht, was sie wollten, da winkte er ihnen mit der Hand, zu warten, bis er sein Netz zusammengezogen habe. Der Fleck heißt noch bis auf den heutigen Tag der Heinrichswinkel. Bei Gittelde hatte der Herzog eine kleine Burg, deren ehemalige Stelle man noch zeigt und die Burg nennt, nahe dabei ist eine Wiese, die heißt der Kaisergarten, Heinrich legte dort einen Garten an. Rundum hatte Heinrich außer diesen seinen Lieblingsorten Jagdhäuser, so eines auf dem Berge, der die spätere Staufenburg trug, eines in Gittelde, eins in Seesen, eins zu Herzberg, eins zu Scharzfeld, eins zu Schildberg, eins auf dem Harzburgberge. Eine andere Anhöhe hieß die Vogelsburg und lag über einem Ort, der hernachmals Vogelsbeck benannt wurde. Alldort erlegte Junker Heinemann von Gittelde einen Bären, der den Herzog hart bedrängte, ward hoch gelobt und belohnt, und Heinrich erbaute an dem Ort eine Kapelle, und die Priester mußten darin beim Messedienst vor dem Altar auf das Fell des Bären wie auf einen Teppich treten. - Die Staufenburg ist hernachmals durch den Kaiser Heinrich I. gar stattlich aufund ausgebaut worden, und er hat sie als einen Lieblingssitz betrachtet. Hernachmals in spätern Zeiten hat sich auf der Staufenburg noch mancherlei Geheimnisvolles zugetragen, und ihre Mauern sahen nacheinander der Liebe Wonnen und der Liebe Pein im vollsten Maße, so daß sie für Herzog Heinrich von Braunschweig, der seine Eva von Trott droben wohnen hatte und barg, selbst gar ein traulicher Heinrichswinkel geworden. - Auf einer Felsklippe ist noch ein Frauenfuß tief eingedrückt zu sehen, dort stand oft lange ein schönes Weib mit sehnsuchtsvollem Blick und schaute dem Kommen des Liebsten entgegen. Man will sie auch noch jetzt erblicken mit goldgelbem, fliegendem Ringelhaar, wie die alten deutschen Meister ihre schönsten Marienbilder malten.


Quelle: Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853