DER RIESE HEIM LÄSST SCHLOSS REUßENSTEIN BAUEN

In einer Höhle des Heimensteins im Neidlinger Tal lebte der Riese Heim. Einst rief er in das Tal hinab, dass alle Leute es hören konnten, wer Lust habe und arbeiten wolle, der möge zu ihm kommen und ihm ein Schloss bauen. Da kamen aus dem ganzen Tal Maurer, Zimmerleute und Schlosser und machten sich an die Arbeit. Als das Schloss fertig war, besichtigte es der Riese und fand so weit alles recht und gut. Doch entdeckte er, dass ganz oben an einem Fenster noch ein Nagel fehlte. Darauf erklärte er, dass keiner eher seinen Lohn bekäme, als bis dieser Nagel eingeschlagen sei. Der aber, welcher das Wagnis unternehme, würde noch einen ganz besonderen Lohn erhalten. Manche der Handwerker hätten sich gern diesen besonderen Lohn verdient, doch wenn sie auf die schwindelnde Höhe hinaufgeklettert waren und in den tiefen Abgrund sahen, verging ihnen der Mut. Ein junger Schlossergeselle aber wollte es denn doch wagen. Er liebte die Tochter seines wohlhabenden Meisters; aber weil er arm war, wollte der Meister ihm seine Tochter nicht zur Frau geben. Der Gesell war darüber sterbensunglücklich und er dachte sich: Versuche halt den Nagel einzuschlagen. Vielleicht gelingt es dir. "Wenn aber nicht, so ist es ohnehin gleich, ob ich an meinem Herzeleid zugrunde gehe oder dort oben abstürze."

So meldete sich der Schlossergeselle bei dem Riesen Heim zu dieser gefährlichen Arbeit. Der Riese freute sich sehr über den Wagemut des jungen Mannes, und um ihm zu helfen, ergriff der Riese den Schlosser und hielt diesen mit der Hand frei zum Fenster hinaus, bis der Nagel richtig eingeschlagen war. Und der versprochene Lohn war dann so reichlich, dass der alte Meister seine Tochter nun gern dem kühnen Gesellen zur Frau gab.


Quelle: Schwäbische Volkssagen, 1966