DER VERSTEINERTE GRAFENSOHN

Nahe bei Chamerau liegt im Regenflusse ein großer, seltsam geformter Stein. Er heißt allgemein der versteinerte Grafensohn.

Vorzeiten stand in Chamerau am rechten Regenufer ein stattliches Schloß, dessen Grundfeste heute noch deutlich erkennbar ist. In dem Schlosse wohnte ein reicher Graf und dieser hatte einen einzigen Sohn. Derselbe, ein gar lustiger Fant, war bis über die Ohren in Röschen, des Roßbach-Müllers einziges Töchterlein, verliebt und wo und wann er nur Gelegenheit fand, sich Schönröschen zu nähern, tat er es. Das Mädchen jedoch wollte von dem Herrensohn nichts wissen und wich ihm überall aus.

Einmal war Röschen bei einer Freundin auf Besuch und kehrte erst bei einbrechender Dunkelheit nach Hause zurück. Da ritt gerade auch der junge Graf mit einigen Knappen von der Jagd nach dem Schlosse heim. Als er das Mädchen gewahrte, gab er seinem Pferde die Sporen; aber Röschen lief so schnell es konnte und da es merkte, daß es dem Grafen nicht mehr entrinnen könne, sprang es in der Verzweiflung in den Regen. »Halloh«, rief der Graf, »jetzt bist Du mein!« und dann setzte auch er in die Fluten; doch war er kaum in der Mitte des Flusses angelangt, als er plötzlich mit seinem Pferde in Stein verwandelt war. Die anderen zerstreut herumliegenden Steine in der Nähe des versteinerten Grafensohnes sind dessen Knappen, sagt man.

Michael Waltinger, Niederbayerische Sagen