DER ÜBERFÜHRER VON HAUNREUT

"Überfahr'n! Überfahr'n!" rief eines Tages - es war während des 30jährigen Krieges einmal - ein recht unheimlich aussehender Mann beim Überführer von Haunreut vom jenseitigen Ufer des Inns aus zu. Der Überführer holte ihn. Als sie gegen die Mitte des Flusses kamen, wurde der Fremde immer schwerer und schwerer, so daß die Fähre unterzugehen drohte. Da schaute sich der Überführer den Mann genauer an und gewahrte zu seinem Schrecken, daß es der Tod sei. Nachdem sie endlich glücklich am Ufer von Haunreut gelandet, fragte der bisher schweigsame Fahrgast nach seiner Schuldigkeit. "Du bist mir nichts schuldig!" antwortete der Fährmann. Darauf sagte der Tod: "da ich Dir nichts schuldig bin, bist Du mir auch nichts schuldig. Hättest Du aber etwas verlangt, dann müßtest Du jetzt sterben!" Dann setzte er sich auf einen im Hofe des Überführers stehenden Baustumpf. "So, da darf sich nun niemand mehr hersetzen", sprach er und ging seines Weges über Marktlberg, Zeilarn usw. Alle Ortschaften, durch die er zog, starben aus.

Als der Tod fort war, setzte der Überführer eine Katze auf den Baumstumpf, die sogleich verendete.

Michael Waltinger, Niederbayerische Sagen