DER SCHATZ AUF DEM HOHENBOGEN

Von diesem Schatze gehen wunderliche Sagen. Er liegt hundert Lachter unter dem "Burgstall", wie man den Gipfel des Hohenbogen heißt, in einem kupfernen Kessel. Alle hundert Jahre einmal wird ein Mensch geboren, der ihn unter gewissen Bedingungen zu heben vermag. Ein solcher war der Hirt von Schwarzenberg, welcher eines Tages seine Herde auf der sogenannten "kleinen Ebene" am Fuße des Burgstallkegels weidete. Als er abends heimtreiben wollte, vermißte er ein junges Rind und nach einigem Suchen hörte er es hoch oben im Walde Laut geben. Er stieg eilig den Burgstall hinan und war schon nahe dem Gipfel, als plötzlich eine wunderschöne, aber seltsam gekleidete Jungfrau vor ihm stand und ihn mit einschmeichelnder Stimme anredete: "du kommst zu guter Stunde hieher. Wisse, daß es in meiner Hand liegt, dich zum reichsten Manne im Lande zu machen. Ich kann dir offenbaren, auf welche Weise du den unter unseren Füßen vergrabenen Schatz heben magst." Der Hirt, welchen beim ersten Anblicke der Erscheinung ein heimliches Grauen beschlichen hatte, faßte Mut und entgegnete, nachdem er sich bekreuzigt, daß er bereit sei, die Unterweisung zu vernehmen. Freudig fuhr die Jungfrau fort: "finde dich heute über acht Tage zu Beginn der Mitternachtsstunde am Fuße des Burgstalls ein, begleitet von zwei Priestern, welche die Beschwörungen zu sprechen wissen. Ihr werdet den Schatz erhoben auf dem Gipfel des Berges liegen sehen. Schreitet nur mutig darauf los und laßt Euch nicht irren, was Euch immer in den Weg trete, sähe es auch noch so schrecklich aus; denn es ist eitel Blendwerk des Bösen, das Euch weder an Leib noch an Seele schaden kann. Bist du an die Schatztruhe herangekommen, so greife mit beiden Händen keck in den Goldhaufen ein und er ist dein für immer. Aber wehe, so du durch die Künste des Satans dich zur feigen Flucht bewegen ließest, wehe dann mir! Abermals müßte ich hundert Jahre umherirren und könnte nicht eingehen zur ewigen Ruhe. Siehe dieses zarte Reis!" - hier wies sie auf ein dem Boden entsprossenes Ahornbäumchen - "es muß zum starken Baume heranwachsen, aus seinem Stamme müssen Bretter geschnitten und diese zu einer Wiege gefügt werden; der Knabe, welcher in dieser Wiege ruhen wird, muß Mann geworden sein, dann erst darf ich wieder auf Erlösung hoffen. Gedenke der unaussprechlichen Leiden einer armen, verbannten Seele und erbarme dich meiner, wie du willst, daß Gott der Herr sich deiner erbarme!" In den letzten Worten lag der Ausdruck eines so herzzerreißenden Jammers, daß der Hirt davon auf das Tiefste ergriffen ward und mehr durch den Wunsch, so große Pein zu lindern, als durch die Begierde nach den verheißenen Reichtümern zu dem Wagnisse der Schatzhebung sich getrieben fühlte. Eben wollte er der Jungfrau seinen Entschluß kund geben, als sich die Gestalt derselben im leichten Nebelflor auflöste den der Abendwind über den Gipfel des Burgstalls hinwegtrieb. Aus dem Gebüsch aber, an welchem die Erscheinung gestanden, kam das vermißte Rind hervor und folgte willig seinem Herrn auf den Weideplatz hinab. Des andern Tages hatte der Hirt nichts eiliger zu tun, als nach Neukirchen zum Kloster der Franziskaner zu gehen und dem Pater Quardian den wunderbaren Vorfall zu berichten. Dieser hielt mit den Vätern Rat, was in der Sache zu tun sei und man kam zu dem Entschlusse, daß es sich hier um die Erlösung einer armen Seele und einen Triumph über den Satan handle, wozu die Diener der Kirche hilfreiche Hand bieten müßten. Nachdem der Quardian von dem Hirten seinem Gotteshause einen erkecklichen Anteil an dem Schatze ausbedungen hatte, erteilte er zwei Mönchen, welche als die geübtesten Exorzisten der Gemeinde galten, den Auftrag, sich durch Beten und Fasten zu dem heiligen Werke vorzubereiten.

Zur bestimmten Zeit trafen die Väter und der Hirt am Burgstall zusammen und eben schritten sie über den Weideplatz hin, als die Turmuhr zu Neukirchen die elfte Stunde angab. Mit dem letzten Schlage loderte auf dem Gipfel eine hohe Flamme empor und die Mönche erkannten dies als ein Zeichen, daß der Schatz sich erhoben habe. Nachdem sie den Hirten gewarnt, nicht von ihrer Seite zu weichen, schickten sie sich an, dem bösen Feinde tapfer zu Leibe zu gehen. Aber kaum hatten sie einige Schritte bergan gemacht, als im Walde ein seltsames Leben rege ward. Eulen und Fledermäuse flatterten den nächtlichen Wanderern in dichten Schwärmen entgegen, aus dem Unterholze links und rechts warf es mit Totenbeinen nach ihnen und grinsende Schädel kollerten unter ihren Füßen hin. Die frommen Söhne des heiligen Franziskus ließen sich von diesem Spuke keineswegs anfechten, sondern drangen, mit lauter Stimme die Bannformeln hersagend und nach allen Seiten Weihwasser sprengend, rastlos voran. Schon mochten sie die Hälfte des Weges zurückgelegt haben, als der bisher mondhelle Himmel plötzlich sich verfinsterte und ein Sturm losbrach, welcher den ganzen Berg aus seinen Grundfesten heben zu wollen schien. Die Blitze fuhren hageldicht auf die Baumwipfel nieder, der Donner krachte Schlag auf Schlag, die Gießbäche stiegen im Nu brausend über ihre Ufer und wälzten mannshohe Fluten gegen die drei herab. Diese meinten bis an den Hals im Wasser zu waten; aber wie sie näher zusahen, fanden sie, daß nicht ein Faden ihres Gewandes naß war. Darum achteten sie es auch nicht weiter, als ihnen noch allerlei Schreckbilder, bald tierähnlich, bald menschlicher gestaltet, in den Weg traten und erreichten den Gipfel, ohne daß ihnen ein Haar gekrümmt worden wäre. Hier sahen sie wenige Schritte vor sich, hell von der noch immer lodernden Flamme erleuchtet, ein kesselartiges Gefäß, das bis zum Rande mit funkelnden Goldmünzen gefüllt war. Eben wollte der Hirt vortreten, um, wie die Jungfrau geboten, den Schatz mit seinen Händen zu erfassen, da wankte der Boden unter ihm und von unterirdischer Kraft gehoben wich ein mächtiger Felsblock polternd von seinem Platze. Aus der Öffnung, die sich gebildet, kroch ein scheußlicher Lindwurm hervor und ringelte seines Leibes endlos gestreckte Glieder dreimal um den Gipfel des Burgstalls herum, einen furchtbaren Schutzwall vor dem gefährdeten Mammon auftürmend. Das Erscheinen dieses Ungetüms setzte die Herzhaftigkeit der guten Mönche auf eine zu harte Probe. Sie glaubten sich schon gepackt von den scharfen Zähnen des Drachen und purzelten, mehr als sie liefen, den steilen Abhang hinunter. Dem Hirten, der sich von seinen geistlichen Helfern verlassen sah, blieb nichts übrig, als ihnen zu folgen. Wohl vernahmen sie hinter sich die Stimme der Jungfrau, welche in kläglichen Lauten zum Ausharren ermahnte; aber die Flüchtlinge waren nicht mehr zum Stehen zu bringen. Nur einmal hatte der Hirt umzuschauen gewagt und gesehen, wie sich der Gipfel des Berges spaltete und in seinem weiten Risse die Schatztruhe verschlang. Darauf erhob sich ein tausendstimmiges Geheul, welches ihm das Blut in den Adern gerinnen machte. Es war das Hohngelächter der Hölle.
Adalbert Müller

Michael Waltinger, Niederbayerische Sagen