DER DRAGONER

Wie viele rüstige Männer, haben im Gefolge Napoleons auf den russischen Schneefeldern einen jämmerlichen Tod gefunden! Wären sie doch in der Schlacht als ruhmreiche Helden gefallen! Keinen Soldaten mehr ähnlich, vielmehr herumstreunenden Vagabunden gleich, in erbärmliche Fetzen gehüllt, voll Hunger und Durst, zitternd vor Frost, abgemagert zum Skelette, sanken sie nach Tausenden dahin. Auch aus unseren Gauen zog mancher mit, um nicht mehr wiederzukehren. Mit banger Sehnsucht wartete man zu Hause auf ein Lebenszeichen. Wie oft aber umsonst! Nach der furchtbaren Katastrophe an der Beresina wurde in manchem Stübchen eines Dorfes, eines Marktes, einer Stadt tage- und wochenlang der flackernde Span nicht mehr zum Erlöschen gebracht. Da war es ein gebeugtes Mütterlein, dem schon die "Freithofblümchen" *) das lebensmüde Haupt bekränzten, dort eine jugendliche Braut, deren blühende Wangen die immer fließenden Tränen ganz bleich gewaschen und der Schmerz und Kummer die glänzenden Sternlein unter den Brauen schier so trübe machten, wie das schmutzige Regenwasser den lachenden See. Die Hände krampfhaft ineinandergepreßt, ließen sie von Zeit zu Zeit die Perlen eines Rosenkranzes, der um die zitternden Finger sich wand, hinuntergleiten und die bleichen Lippen murmelten mechanisch dazu das Gebet. Als ob sie den Sohn, den Herzallerliebsten, wieder lebendig zu beten vermöchten!

Wild tobt der Sturm und rüttelt an den Fensterläden und pocht mit Gewalt an die Türen und Tore; von den Bäumen, die sich schütteln und biegen, reißt es das dürre Geäste; tiefschwarz ist der Himmel behängt und kein Stern leuchtet hernieder. Wie mag wohl dem Wanderer zumute sein, der in der Finsternis draußen - kaum einen Schritt weit vermag man zu sehen - vielleicht noch etliche Stunden zu traben hat? Beschütze ihn Gott! ...

Aus einem einsamen Häuslein, dort zwischen Thurnstein und Pfarrkirchen, dringt matt durch die Ritzen eines zerbrochenen Fensterladens der Schimmer eines brennenden Kienspans. In der Stube drinnen sitzt ein Weiblein, tief schon in den 60er Jahren. Auch sie hat einen Sohn, den einzigen, mitgeschickt, hinüber nach Rußland. Er hat Moskau gesehen (als herrliche Stadt und als Schutthaufen); aber bis zur Beresina wurde der Weg ihm zu lang. Eines Morgens, - sein Gaul war längst schon verendet - als er mit den Kameraden die gefrorene Straße dahinschritt, ist er ausgetreten und hat sich müde auf einen Stein gesetzt. Da ist er denn eingeschlafen; aber erwacht ist er nimmer. Sein Mütterlein weint sich fast die Augen aus und betet: "Nur einmal laß ihn mir noch sehen, Du lieber Gott und dann laß mich ruhig sterben!" Horch, was trabt da draußen die Straße herauf? Wie es wiehert und schnaubt und die Sporen klirren und der Pallasch klingt! Da halten sie, Rößlein und Reiter. "Er ist es!" ruft's Mütterlein freudig. Sie eilt zur Türe und reißt den Riegel zur Seite. Er war es. Aber wie sie den Reiter näher betrachtet, da merkt sie, daß nur ein Schädel ohne Haut und Fleisch ihr entgegengrinst und sie fällt vor Schrekken zurück, ist tot. Zwei Tage darauf hat man sie im Friedhof zu Postmünster zur Erde bestattet. Der Reiter aber kommt nächtlicherweile oft noch des Weges geritten. Er galoppiert bis zum Friedhof hinüber, wo man das Mütterlein stille zur Ruhe gelegt, dann trabt er in Eile wieder zurück. Einem Bauern ist er einmal begegnet, der um Mitternacht von Afterhausen gegen Schuldholzing schritt. Wie er so den Hufschlag im Rücken hörte, dachte er, es sei ein Schloßknecht von Thurnstein, der nach Brombach hinunterreite und er blieb stehen, um ihn vorüberzulassen. Trotz der Dunkelheit sah er nun, daß es ein Dragoner sei. Kaum war derselbe an ihm vorbei, so ritt er von der Straße ab und der Rott zu, durch dieselbe hindurch und auf den Wiesen dahin nach Pfarrkirchen.

*) Die weißen Haare.

Michael Waltinger, Niederbayerische Sagen