DAS KREUZ BEI NUSSING

Von Nussing aus, einem an der Straße Pfarrkirchen-Tann gelegenen Weiler, führt ein holperiger Waldweg nach dem Dörflein Neukirchen bei Pfarrkirchen hinüber. An diesem Waldwege nun befindet sich ein altes Kreuz aus Holz, von dem der Volksmund auch seine Sage zu erzählen weiß.

Draußen am Waldrand wohnte vorzeiten ein armer Schuster mit Weib und Kind. Das war ein sorgenvolles, kümmerliches Dasein, das diese Familie lebte! Zu allem Überflusse - nach der Ansicht des Schusters - brachte auch noch die greise Mutter desselben hier ihre alten Tage zu. Freilich, die alten Leute werden "launi", wie der Niederbayer sagt; aber sie war einmal des Schusters Mutter und die Mutter muß der Sohn pflegen und nähren, wenn sie alt wird, das ist Kindespflicht. Der Schuster lebte also in sehr ärmlichen Verhältnissen und er hätte beten und arbeiten sollen und der Himmel wäre ihm schon beigestanden, sagt ja schon ein Sprichwort: "bet' und arbeit', Gott gibt allzeit" und ein anderes: "wo die Not am größten, ist Gottes Hilfe am nächsten". Unser Schuster aber dachte: "wenn doch die alte Hexe einmal sterben würde, so hätte ich wenigstens um einen Kopf oder besser um einen Magen weniger zu sorgen." Ja, er dachte das nicht nur, er sagte es der Mutter oft gerade ins Gesicht. Das tat dem alten Weiblein natürlich bitter wehe und sie ging dann allemal hinauf ins Holz zu jenem Kreuze am Wege und weinte sich dort aus und betete zum lieben Gott, er möge sie zu sich in den Himmel nehmen. Oft, oft ist sie dagekniet in ihrem Schmerze; aber endlich hat sich unser Herrgott doch ihrer erbarmt. Wie sie wieder einmal so flehte und jammerte, da schickte er ihr den Todesengel und der trug ihre Seele hinüber ins Jenseits, wohin ihr Mann ihr vor Jahren vorangegangen.

Als man dem Schuster in später Nacht den leblosen Körper seines Mütterleins ins Haus brachte, da gingen ihm freilich die Augen über und tiefste Reue überkam ihn und er bat die Verstorbene in seinem Herzen um Verzeihung. Wenn er dann später so auf seinem Dreifuß saß und bis in die Nacht hinein hämmerte und flickte und seufzend nach der Gegend blickte, wo seine Mutter vor dem Bilde des Gekreuzigten so oft ihr Herz ausgeleert, da sah er dann häufig ein Leuchten und es war, als stünde das Kreuz droben in hellem Feuer. Darauf schlug er immer das Kreuz und betete ein Vaterunser für die Seele der Mutter.

Michael Waltinger, Niederbayerische Sagen