DAS DIENSTGEFÄLLIGE IRRLICHTLEIN

Die Bewohner von Steinhügel, Hofmark und Eck haben zu ihrer Pfarrkirche in Holzkirchen 1) einen größtenteils sehr beschwerlichen Weg von etwa 1 ½Stunden. Was ihn früher noch unbequemer machte, das waren die vielen Falter, 2) welche ungezählt den Durchgang durch die Menge von Zäunen, die damals die verschiedenen Grundstücke abschlossen, ermöglichten. Besonders zur Winterszeit waren die größtenteils verschneiten und angeeisten Falter der allgemeine Jammer aller Wanderer, die sich daran nicht selten die kaum etwas in den Taschen erwärmten Hände halb erfroren.

Zur Adventzeit, der Zeit der Engelämter oder Rorate, zogen die Leute truppweise morgens 4 oder 5 Uhr schon aus den einzelnen Gehöften, Weilern und Dörfern nach ihrer Pfarrkirche. Daß es dabei zuweilen recht lebhaft herging, läßt sich denken. Was wäre da geeigneter, als Spukgeschichten erzählen? Einmal ging es auf so einem Kirchgange wieder gar lustig zu. Vorne am Zuge schritten zwei muntere Dirnen aus Steinhügel, dicht in ihre warmen Tücher gehüllt. Man erzählte eben wieder von Weizen, Irrlichtern usw., da rief die eine der voranschreitenden Dirnen, die sich um das Amt des Toröffnens angenommen hatte: "daß uns koa arme Seel oda sunst was hilft? Wia guat war's, wenn s' uns d' Toa(r) 3) aufmachatn, na derftn mia d' Händ schö warm ön Tuach eigwicklt lassn!" Kaum gesagt, öffnet sich auch schon die nächste Falter von selbst und so alle übrigen, die sie zu passieren hatten. Sobald der Zug sich aber von einer Falter immer entfernte, hörte man jedesmal ein leises Seufzen. Endlich sagte ein übermütiger Bursche: "geh, du arme Seel oda werst bist! Solln ma da ebba helfa?" Daraufhin vernahm man wieder ein gar schmerzliches Seufzen und die Falter blieben nun zu wie ehevor. Der Vorwitz des Burschen hat die arme Seele vertrieben.

1) Holzkirchen, Bezirksamt Passau.
2) Falter = Falltor, Zaunverschluß.
3) Tor.

Michael Waltinger, Niederbayerische Sagen