ABT EDMUND

Es war an einem trüben, düsteren Herbstabend. Regenschauer schlugen unter dem Tosen des Sturmwindes an die Fenster der Abtei Fürstenzell. In seiner Zelle saß wie gewöhnlich Abt Edmund einsam und weltverloren. In der Hand, die der Fischerring zierte, hielt er sein Kleinod, seine Geige und die Künstlerseele legte Leid und Wehmut, Sehnsucht und Heimweh in das tote Holz, in die klingenden, singenden Saiten. Die Träume der Kindheit, der Jünglingsbrust flattern vorüber. Die alte Geige jauchzt und jubelt, klagt und weint ... Warum erschrickt der Künstler? Der graue Morgen grüßt durch's hohe Fenster. Abt Edmund hat den Ruf zur Mette überhört, versäumt, mit den Brüdern im Chor sich zu versammeln.

Heute noch, wenn der Wind nächtlich durch die Gassen heult, zieht der Geist des Abtes mit seiner Geige klagend durch die Klostermauern und kann nicht zur Ruhe kommen.

Michael Waltinger, Niederbayerische Sagen