Die Zaubermuschel

Im Spessart stand ein Schloss, darin hauste ein Ritter, der eine wunderschöne Tochter hatte. Wie diese achtzehn Jahre alt wurde, schenkte ihr der Vater einen Schmuck von purem Gold. Allein die Tochter sprach: "Vater, die Leute ringsum sind so arm, und da mag ich mich nicht in goldenem Prunk vor ihnen zeigen. Lieber würde ich eine Halskette von Muscheln tragen; denn sie kann jeder drunten im Bach suchen, arm wie reich, und auch den Mädchen vom Dorf ist es möglich, sich mit glänzenden Muscheln zu schmücken."

Nun hörte ein Jüngling, der Sohn einfacher Eltern aus einem Nachbardorf vom Wunsche des Ritterfräuleins, und er wollte für jenes die schönsten Muscheln im Bach sammeln. Es hatte ihn nämlich eine tiefe Neigung zu dem adeligen Mädchen erfasst, aber er wagte seine Liebe nicht auszusprechen, weil er nur ein Bauernsohn war. Doch wollte er ihr wenigstens als Zeichen seiner Liebe den Schmuck aus Muscheln verehren. Er hatte schon eine Reihe prächtiger Muscheln gefunden. Noch eine einzige fehlte, und die sollte von allen die schönste sein. An der tiefsten Stelle des Baches lag eine; aber es war gefährlich, sie herauszuholen. Der Jüngling blickt in das klare Wasser hinab. Ja, da drunten im tiefsten Grunde glänzt die Muschel wie von einem Zauberschein umspielt. Und der Jüngling ruft: "Ich muss sie besitzen", und er springt von der Brücke in die Tiefe. Er greift nach der herrlichen Muschel, allein die Strömung reißt ihn fort, er muss ertrinken, und seine Leiche wird ans Ufer gespült.

Das Ritterfräulein erhielt die schillernde Halskette aus Muscheln und zugleich auch die Nachricht von der heimlichen Neigung des Jünglings. Als man diesen begrub, ging sie weinend hinter dem Sarge her.

Und ihren seltenen Schmuck trug sie nur ein Jahr lang, dann kränkelte sie und starb bald darauf.

Quelle: Spessart-Sagen, Valentin Pfeifer, Aschaffenburg 1948, S. 196