Die Wettenburg

Oberhalb Wertheims stand auf dem schmalen Landrücken, der bei Eichel und Bettingen an drei Seiten vom Maine umflossen wird, ein mächtiges Schloss: die Wettenburg. Darinnen wohnte vor Jahrhunderten eine Gräfin, die war gegen die Armen hart und geizig und wies sie unbarmherzig von der Schwelle. Ja, sie beschloss sogar den Berg durchgraben zu lassen, damit der auf allen Seiten vom Wasser umspült sei und sich kein Bettler mehr dem Schlosse nähern könne. Sie zwang ihre Untertanen, beim Bauen des tiefen Grabens Frondienste zu tun, und strenge Aufseher mussten die armen Leute unablässig zur Arbeit antreiben. Trotzdem ging das Werk wegen des zahlreichen Felsgesteins nur langsam vonstatten, und die zornige Gräfin tobte und schalt, man solle dem gemeinen Volke die Peitsche zu spüren geben. Als sie wieder einmal schimpfend am Schlossfenster stand, trat ein alter Mann heran und bat, die Gräfin möge von ihrem Vorhaben ablassen und die geplagten Untertanen schonen. Aber die Herrin lachte über eine solche Bitte, und ihr Gemüt wurde noch verstockter. Sie zog ihren Ring vom Finger, warf ihn in den Main hinunter und rief: "So gewiss ich den Ring nicht wieder sehe, so gewiss wird der Berg durchschnitten werden. Und eher soll die Wettenburg in
den Erdboden versinken, als dass ich wegen des dummen Volkes anderen Sinnes würde."

Während der nächsten Tage lud die Gräfin benachbarte Ritter zu einem Feste, wobei sie vor den Gästen prahlte, dass ihr Plan zur Durchführung komme, und wenn's die Untertanen noch so viel Schweiß koste. Bei den Speisen, die für die Tafel bereitet wurden, befand sich auch ein Fisch von ungewöhnlicher Größe. Als ihn der Koch zerlegte, fand er im Magen einen goldenen Ring und ließ ihn durch die Magd sogleich der Herrin in den Saal bringen. Wie die Frau Gräfin den Ring erblickt, wird sie kreidebleich; es ist nämlich ihr eigener Ring, den sie in den Strom geschleudert hat.

Und im nächsten Augenblick blitzt und kracht es, und die Burg versinkt mit Mann und Maus in die Tiefe des Berges hinab.

Noch lange konnte man den Graben sehen, den die Untertanen der Gräfin von Wettenburg mühevoll ausheben mussten. Durch die Weinberge auf der einen Seite und die Steinbrüche auf der anderen wurde er schließlich verschüttet und abgetragen.

Quelle: Spessart-Sagen, Valentin Pfeifer, Aschaffenburg 1948, S. 218