Der Schelm von Bergen
Kaiser Friedrich der Rotbart hielt sich öfters in seinem Schloss zu Gelnhausen auf und unternahm von hier aus seine Jagdzüge.
Einmal, am Hubertustag, jagte er wieder mit einem zahlreichen Gefolge im ausgedehnten Forst, und sie hatten schon manchen Hirsch und Bären erlegt, als der Kaiser im Jagdeifer in ein tiefes Dickicht hineingeriet, das er zuvor noch niemals betreten hatte. Er war auch von seiner Jagdgesellschaft abgekommen und stand nun ganz allein in der fremden Wildnis. Vergebens spähte er nach einem Pfade aus, der ihn aus dem dichten Wald führen könnte.
Horch, da knackte es im Gehölz, und ein wütender Auerochs brach
hervor. Im ersten Augenblick erschrak der Kaiser nicht wenig, aber dann
fasste er rasch den Spieß und stieß ihn dem anstürmenden
Ur zwischen die Rippen. Der Ochs stürzte hin, und der Fürst
atmete auf. Wie er sich umblickte, stand hinter ihm ein Mann, ebenfalls
einen Spieß in der Hand. Jetzt wurde der Kaiser zornig und fragte,
wie er denn tatenlos zusehen könne, wenn ein anderer Mensch in Gefahr
wäre. "Ich bin der Kaiser", rief er, "und du standest
mir nicht bei, gehe mir aus den Augen, du Feigling!" Aber da erwiderte
der einfache Mann, er habe, indes der Fürst den wilden Ochsen bekämpfte,
einen zweiten Ur getötet, der den Kaiser von der anderen Seite her
bedrohte. Und er führte den Kaiser zu der Stelle, wo der tote Auerochs
lag. Der war noch größer und stärker als jener, den der
Fürst zur Strecke gebracht hatte. Jetzt zürnte der Kaiser nicht
mehr und fragte freundlich: "Wer bist du denn, wackerer Mann?"
Zögernd antwortete der andere: "Ich bin der - der Schelm von
Bergen." In der damaligen Zeit bezeichnete man mit den Namen "Schelm"
einen Scharfrichter. Und ein solcher wurde vom Volk verächtlich angesehen.
Den gerechten Kaiser kümmerte es nicht, wessen Berufes der Mann war,
der vor ihm stand. Und er sprach: "Du bist ein tapferer Mann und
edel in deiner Gesinnung, du hast mir das Leben gerettet! So will ich
dir den Adel verleihen, der schon lange in deinem Herzen wohnt."
Und der Scharfrichter musste niederknien, worauf ihm der Kaiser den Schwertstreich
auf die Schulter gab und ihn so zum Ritter schlug. Er nahm den neu ernannten
Ritter in sein Gefolge auf, und der ehemalige Schelm von Bergen begleitete
seinen kaiserlichen Herrn im Krieg und Frieden und half ihm in vorbildlicher
Treue Leib und Leben schützen.
Karl Lynker
Quelle: Spessart-Sagen,
Valentin Pfeifer, Aschaffenburg 1948, S. 204