Die Rüden vom Kollenberg

Das Maintal zwischen Wertheim und Miltenberg entzückt in seiner Schönheit einen jeden, ob er zu Fuß hindurchwandert, oder ob er es mit der Bahn durcheilt. Und einige altehrwürdige Burgruinen lenken die Blicke auf sich, so die immer noch stolzen Reste der ehemals mächtigen Burg Freudenberg bei dem Städtchen gleichen Namens; und etwa eine Stunde weiter taloben auf einem Hügel bei Dorfprozelten liegen die Trümmer der einstigen Feste Kollenberg. Auf besonderen Reichtum ehemaliger Bewohner lassen die Ruinen dieses Schlosses nicht schließen; es scheint weniger eine Burg als ein festes Wohnhaus gewesen zu sein, wie man es in alten Zeiten zu Schutz und Trutz zu bauen pflegte.

Der einstige Herr von Kollenberg nun liebte ein armes, sittsames Mägdelein, das aber auch von dem reichen Grafen zu Wertheim geliebt ward. Als nun der Kollenberger sein Schloss gebaut hatte, trat er vor die Jungfrau, überreichte ihr ein Röslein und sprach: "Wollt Ihr meine eheliche Gemahlin werden, so ist dieses Haus Euer Eigentum. Schauet zu, ob Ihr mich lieben könnt, und nach drei Tagen sagt mir die Antwort!"

Am selben Tage erschien auch noch der stolze Graf von Wertheim, ließ ein kostbares seidenes Kleid und andere wertvolle Geschenke, goldene Ketten und Spangen vor die holde Jungfrau bringen und sagte: "Eure Schönheit und Tugend ist weit und breit bekannt, soll aber nicht länger unbelohnt bleiben. Ich will Euch heimführen in mein Grafenschloß zu Wertheim und Euch zu meiner ehelichen Gemahlin machen. In drei Tagen werde ich kommen und Euch abholen."

Nach drei Tagen kamen die beiden, der von Kollenberg und der von Wertheim, und wollten Bescheid.

Die Jungfrau erschien auch, trug das Röslein in der Hand, ging an dem Grafen von Wertheim und seinem Gesinde vorüber, gab dem Kollenberger die Hand und sagte: "Euch will ich und keinen anderen!" So ward sie nun des Kollenbergers Weib, zog mit ihm auf sein Schloss, und obwohl sie keinen Überfluss miteinander hatten, lebten sie doch sehr glücklich und zufrieden.

Der Graf von Wertheim konnte es aber nicht verwinden, dass ihm der Kollenberger vorgezogen worden war, und damit das Weib, das ihn verschmäht hatte, täglich ihren Unverstand vor Augen hätte, sagte er frevelnd: "Nun wollen wir das Stücklein vom reichen Mann und dem armen Lazarus aufführen!", baute weiter unten am Main ein hohes, herrliches Schloss und nannte es Freudenberg. Dort heiratete er eine reiche Landgräfin, die ihm nach einem Jahr ein Söhnlein gebar, lebte mit seinen Gesellen Tag für Tag in Saus und Braus, und wenn er es sich mit seinen Gästen wohl sein ließ mit Singen und Trinken bis in die späte Nacht, deutete er hinauf auf den Kollenberg und sagte: "Jetzt wird des Hungerleiders Weib merken, wo man herrlich und in Freuden lebt." Wenn er aber hie und da einmal in ihre Nähe kam, ließ er sich nichts anmerken, sondern tat freundlich gegen sie und viel demütiger als ehemals.

Nun begegnete einst dem Grafen, als er auf der Jagd war, ein Zigeunerweib und sagte, wenn er sie gewähren lasse, wolle sie es doch noch dahin bringen, dass des Kollenbergers Weib ihm hold würde; das gefiel dem Grafen sehr wohl, weil er dadurch an dem Kollenberger sich rächen wollte, und er sandte das Weib mit einer feinen goldenen Kette auf den Kollenberg nebst einem freundlichen Gruß an die Herrenfrau und bat um ihre heimliche Gunst. Diese aber verwies ihm mit herben Worten sein böses Ansinnen, und als das Zigeunerweib gleichwohl noch öfter erschien und sein Begehren vorbrachte, drohte ihr die Frau im höchsten Zorne, dass sie dieselbe, falls sie sich noch einmal das Schloss zu betreten unterfinge, mit Hunden hinaushetzen werde. Da lachte die Zigeunerin grimmig und sprach: "Mit Hunden, du Bettlerin? Es soll ein Wort sein. Ich will dir selber die Hunde dazu schaffen und das sogleich, wie du jetzt in die Wochen kommst!" Als der Graf von Wertheim sah, dass sein böses Vorhaben nicht glücken werde, geriet er in großen Zorn und beschloss, nicht eher zu ruhen, bis er den Kollenberger von Land und Leuten gebracht habe. Er fing einen Streithandel mit ihm an über die Kirschhöhe, die er als sein Eigentum in Anspruch nahm, und als er den Handel verloren hatte, ließ er sich dadurch nicht irremachen, sondern trieb des Kollenbergers Leute aus und nahm die Höfe mit Gewalt in Besitz. Dieser wollte sich's nicht gefallen lassen, sondern brachte so viele Leute auf, als er konnte, und wollte ritterlich mit ihm kämpfen.

Als er auszog von seinem Schlosse, war sein Weib gerade ihrer ersten Niederkunft nahe. Das Weib hatte die Rede der Zigeunerin nicht aus dem Sinne bringen können, und so geschah es, als sie in Abwesenheit ihres Mannes gebar, dass sie zwei kohlschwarze Hunde zur Welt brachte. Entsetzt darüber und kaum wissend, Was sie tat, gebot sie ihrer Magd, die Hunde in einen Sack zu tun und, ehe ihr Mann heimkehrte, sie in den Wiesenbrunnen am Maine zu versenken.

Dieser war aber an demselben Tage mit dem Grafen von Wertheim handgemein geworden und hatte im Streit alle seine Leute verloren. Zwar hatte er selber den Grafen vom Pferde gerannt und ihm einen Schwerthieb über den rechten Arm gegeben, aber der Feinde waren zu viele gewesen, und er war zuletzt allein aus dem Streite entronnen. Als er nun traurig und kampfesmüde den Main heraufkam, begegnete ihm die Magd, wie sie eben die Hunde nach ihrer Herrin Gebot in den Brunnen werfen wollte. Die Magd erschrak auf den Tod, als sie seiner ansichtig ward. Er aber fragte: "Was trägst du da?" Sie wollte leugnen und Ausflüchte machen; endlich aber erzählte sie ihm die ganze traurige Geschichte. Da sagte der Ritter: "Heute hab' ich mein rechtmäßiges Eigentum und alle meine Getreuen im ehrlichen Kampfe verloren; das ist Unglücks genug, nimmermehr kann ich glauben, dass Gott einen Menschen, den er selber mit seiner Rute geschlagen hat, auch noch dem Teufel zum Spott werden lässt." So trat er hinzu und machte den Sack auf im Namen Gottes. Siehe! Da waren statt der kohlschwarzen Hunde zwei schöne Knäblein darinnen, die streckten die kleinen Hände nach dem Ritter aus und lachten, dass sein trauriges Gemüt wieder fröhlich ward; und er nahm die zwei Knäblein, trug sie die Treppe hinauf ins Zimmer seiner Gemahlin und sagte lächelnd: "Da schau dir deine zwei Rüden erst noch einmal an, bevor du sie ins Wasser werfen lässt, dann tu, wie es dir gefällt!"

Am Abend kehrte auch der Graf von Wertheim zurück auf den Freudenberg. Als man dort des Kollenbergers Niederlage vernommen, war großer Jubel. Die Landgräfin hatte das Tor festlich geschmückt, stand unter dem Eingange und hielt ihm sein Knäblein entgegen, dem sie ein purpurnes Kleid angetan und die goldene Kette umgehängt hatte, die er einst durch die Zigeunerin dem Weibe des Kollenbergers angeboten hatte. Der Graf nahm das Kind auf seine Arme, schritt stolz mit ihm voran in den Schlosssaal, hielt es dort zum Fenster hinaus und sprach: "Siehe, jetzt ist das alles, so weit das Auge reicht, dein Erbe!" Da zuckte es dem Grafen in dem Arm von dem Schwertschlage, den ihm der Kollenberger gegeben, seine Hand öffnete sich und ließ das Kind los. Das stürzte schreiend hinunter und blieb zerschellt und blutend auf einem Felsstück liegen.

Am folgenden Tage ließ der Graf dem Kollenberger sagen, er solle seine Höhe wieder in Besitz nehmen, legte sein zerschmettertes Kind in einen Sarg und hieß die Leiche nach Wertheini zur Gruft geleiten. Hinter dem Sarge gingen die Landgräfin und die Leute des Grafen. Als alle durch das Tor waren, erschien zuletzt auch der Graf und schloss eigenhändig das Tor zu. Als er aber herunter an den Main gekommen war, schleuderte er den Schlüssel mitten in den Strom, kehrte sich zur Burg hinauf, auf der eine große schwarze Fahne aufgesteckt war, und rief: "Freudenberg bist du genannt, aber die Bosheit hat dich gebaut, darum bist du eine Trauerburg geworden. Dich soll mein Fuß nie mehr betreten." So ist das Schloss zerfallen. Des Kollenbergers Söhne aber wurden groß, stark und tapfer und dienten in dem Heere des Kaisers, und da der Kaiser Kunde bekam von dem, was sich mit ihnen begeben hatte, gab er ihnen einen Hund zum Wappen und gebot, dass sie und ihre Nachkommen sich die "Rüden vom Kollenberg" nennen sollten, was auch so gehalten worden ist bis auf den heutigen Tag.

Quelle: Spessart-Sagen, Valentin Pfeifer, Aschaffenburg 1948, S. 170ff