Auf dem Rangschiff

Einst fuhren die Rangschiffer mit ihren großen Frachtschiffen regelmäßig den Main und Rhein hinunter bis nach Rotterdam. Sie nahmen zuweilen auch Reisende mit, die keine Eile hatten und das Vergnügen einer Fahrt auf dem Wasser genießen wollten. Einmal fuhr auch eine Aschaffenburger Frau zu ihrem Vergnügen von Lohr nach Aschaffenburg. Diese erzählte, dass die Schiffer wegen einbrechender Dunkelheit schon oberhalb Nilkheims ihre Anker werfen mussten, statt die kurze Strecke bis zur Stadt noch vollends zurückzulegen.

Einer der Schiffer sagte halblaut zu seinem Kameraden: "An der Stelle soll's nicht geheuer sein, wir wollen diesmal nicht an Land gehen, sondern möglichst weit im Strom bleiben." Die Aschaffenburgerin hatte die Worte wohl vernommen, bedachte die aber nicht weiter und begab sich zur Ruhe in die vordere Kajüte, während die Schiffsleute in der hinteren Kajüte schliefen. Mitten in der Nacht sprang nun ein fremder Mann auf das Schiff, und zwar mit solchem Gewicht, dass das Fahrzeug durch den Aufprall mächtig schaukelte. Die nächtliche Gestalt lief den Schiffsrand entlang und kam bis vor die Kajüte der Frau. Die rief vor Angst durch die Luken um Hilfe. Gleich darnach, mit dem zwölften Glockenschlag, rannte die unbekannte, riesenhafte Gestalt noch einmal längs des Schiffes hin und tat einen gewaltigen Sprung ans jenseitige Ufer. Durch den Absprung geriet das Schiff derart ins Schwanken, dass es Wasser schöpfte und beinahe sank. Man hörte den harten Aufsprung am andern Ufer, und die Hünengestalt war verschwunden.

Wenn Schiffe vor Anker gehen, legen sie entweder oberhalb der genannten Stelle an, oder sie fahren noch ein gutes Stück mainabwärts, denn jeder Schiffsmann kennt die Stelle, wo das Erzählte geschah und meidet den Platz. Manche Aschaffenburger hielten die hünengroße Gestalt für den Wilden Jäger, der über den Fluss wollte; allein behaupten kann's keiner.

Quelle: Spessart-Sagen, Valentin Pfeifer, Aschaffenburg 1948, S. 22 - 23.