Der Goldkessel

In einem Tälchen zwischen der Kälberauer und der Michelbacher Markung, die "Kertelswiese" genannt, ist ein niedriger Hügel, auf dem vor Zeiten ein Schloss stand. Tief unten im Schlosskeller befand sich ein Kessel, der war mit Goldstücken angefüllt, und neben dem Kessel war ein Tisch und darauf ein Glas Wein. Am Tische nun saß ein graues Männlein, das schlief Tag für Tag bis nachts elf Uhr. Aber mit dem elften Glockenschlag erwachte es und schlug dreimal auf den Kessel. Knarr - sprang der Deckel auf, das Männchen nahm handvollweise die Goldmünzen heraus und schüttete sie auf den langen Tisch. Jetzt begann das Männlein zu zählen. Es rechnete und warf die gezählten Goldstücke wieder in den Kessel. Zwei Stunden zählt und rechnet es so in einem fort, bis nach Mitternacht die Dorfuhr die erste Stunde des neuen Tages anschlägt. Da ist alles Geld vom Tisch verschwunden, der Deckel des Kessels fällt von selbst zu, und das Männlein legt den Kopf auf den Tisch und schläft.

Nachts um elf Uhr geschieht genau wieder dasselbe wie in der Nacht zuvor, und so wiederholt sich der Spuk jede Nacht um die gleiche Stunde: Das Männlein zählt und errechnet sein Geld, das es zu Lebzeiten unrechtmäßigerweise zusammengerafft hatte, und hernach schläft es wiederum ein.

Einmal gruben etliche Männer in dem Hügel und stießen nach mühseliger Arbeit wirklich auf den Kessel mit den Goldmünzen. Da erscholl aus der Tiefe ein solches Lärmen und Brausen, dass es den Leuten angst und bange ward und einem der Männer die Worte entschlüpften: "Jesses, da ist ja der Teufel los!" Und kaum hat er's herausgeflüstert, war der Kessel fort und verschwunden.

Da mussten die Schatzgräber wieder unverrichteterdinge nach Hause.

Quelle: Spessart-Sagen, Valentin Pfeifer, Aschaffenburg 1948, S. 70