Einsiedeln im Spessart

Der mächtige Kaiser Karl jagte mit besonderer Vorliebe im tiefen Spessart, wo es zu seiner Zeit noch Edelwild in Menge gab. Die Namen wie Karlsschlag, Karlsgrund und Karlshöhe erinnern an den Aufenthalt des Frankenkaisers in jener Gegend um Rohrbrunn.

Einmal kam der Kaiser bei einer Jagd vom Gefolge ab und irrte, nur von seinem Hund begleitet, durch den weiten Forst. Gegen Abend gelangte er in ein Tal und traf hier drei Einsiedler in einer ärmlichen Waldhütte. Sie erkannten ihn nicht, aber an seiner Gestalt und an seinem Benehmen merkten sie, dass sie einen hohen, fürstlichen Herrn vor sich hatten, und empfingen ihn so ehrerbietig wie möglich. Der Fremde ließ sich auf der einzigen Ruhebank der Hütte nieder und legte Waffen und Geräte ab, die der eine der Ansiedler an einen Pflock hängte. Dann blieb er beim Kaiser, ihm Rede zu stehen und seiner Winke gewärtig zu sein. Der zweite Einsiedler holte eilends Holz herbei, damit der dritte am Herde eine Speise für den Gast bereite. Leider konnten sie ihm in ihrer Armut nur wenig vorsetzen. Sie hatten nichts als einige Kräuter, Beeren und Wurzeln, die mit einigen Brocken Brot zu einer Suppe gekocht wurden. Als diese fertig war, stellte sie der Einsiedlerkoch auf einen kleinen Tisch in der Ecke und meldete alsdann dem Gast, dass angerichtet sei. Der unterhielt sich etwas mit ihm, und unterdessen trat der große Jagdhund unbemerkt an den Tisch und fraß die Suppenschüssel leer. Welcher Schreck für die Einsiedler, als sie dies wahrnahmen! Sie hatten nun keine andere Speise mehr vorrätig als ein handgroßes Stück Schwarzbrot und legten das dem hohen Gaste vor, indem sie wegen des kargen Imbisses um Entschuldigung baten. Der Kaiser fragte, ob sie selber schon zu Nacht gegessen hätten. Als sie es verneinten, holte er sein Jagdmesser aus der Scheide, schnitt das Brot in vier Teile, nahm einen davon und schob die übrigen drei den Einsiedlern zu. Die wollten jedoch nichts essen und meinten, sie seien ans Fasten gewöhnt und könnten leicht der Speise entraten. Der Gast möge nur das vorhandene Brot genießen, es sei ohnehin wenig genug. Aber der Jäger sagte in bestimmtem Tone, sie sollten ihren Anteil nehmen, und da aßen sie mit. Auch der große Hund war, obwohl er schon die Suppe ausgeschlürft hatte, herangetreten, und einer der Einsiedler brach sein bisschen Brot noch einmal entzwei und warf die Hälfte dem Rüden hin. Mit heimlichem Wohlgefallen sah dies der kaiserliche Jäger, der seinem Hunde sehr zugetan war.

Nach dem spärlichen Abendbrot ließ sich der Kaiser auf einem Lager von Moos zum Schlafe nieder. Am anderen Morgen erhob er sich neu gestärkt, dankte den Einsiedlern freundlich für das Obdach und wollte seinen Weg fortsetzen. Einer der Einsiedler führte ihn. Sie waren erst eine kurze Strecke gegangen, da erklang aus der Ferne der Ton eines Jagdhornes, und sogleich setzte Karl das Hörn, welches er an einer goldenen Kette um die Schulter trug, an den Mund und erwiderte den Gruß, dass es mächtig in den Bergen widerhallte.

Bald kamen viele reich geschmückte Jäger ins Tal herab und begrüßten ihn als Herrn und Gebieter mit großer Ehrfurcht. Da erkannten die Einsiedler, dass sie in der ärmlichen Hütte ihren mächtigen Kaiser beherbergt hatten. Der aber sprach zu ihnen: "Ihr habt lange genug in dieser Einsamkeit gelebt; ihr könnt auch Gott an anderer Stelle dienen, wo ihr zugleich der Welt mehr nützen werdet." Und er sandte zwei der Einsiedler ins neu gegründete Kloster Neustadt und nahm den dritten in seinem Gefolge mit nach Würzburg. Das war jener, der mit dem Hunde des Kaisers sein Brot geteilt hatte. Er hieß Burkard und wurde der erste Bischof von Würzburg.

Der Ort nun, wo Karl der Große bei den Einsiedlern übernachtete, wird noch heute "Einsiedel" genannt. Längere Zeit befand sich dort auch eine Glashütte.

Quelle: Spessart-Sagen, Valentin Pfeifer, Aschaffenburg 1948, S. 154f