Von der Pestkapelle

Die Niggl-Mutter vom Steinbach ist 1895 im 88. Lebensjahr gestorben. Von ihr wußte die Waldherrn-Julie:

Jahraus, jahrein, an jedem Sonn- und Feiertage der vier Sommermonate, ging die Nigglmutter zur Pestkapelle wallfahrten. Auf dem Wege hin und her betete sie immer etliche Rosenkränze, aber in der Kapelle selber konnte sie nicht beten. Von Kindheit auf steckte in ihr eine geheime Furcht, aus der Schulzeit her. Damals ist der Lehrer, wie jedes Jahr, mit den Erstkommunikanten zur Pestkapelle gegangen. In der Kirche hörten sie ein unheimliches, unnatürliches Geräusch und der Schullehrer sagte: "Kinder, wir gehen. Wir verrichten unsere Andacht auf dem Weg. Wenn wir für diese Seelen, die noch etwas abzubüßen haben, recht beten, werden sie von ihrem Leiden erlöst und in der Kapelle ist Ruhe." Andere Leute aber wollten von diesem Glauben abspenstig machen und sagten: "Es sind Fledermaus, die monatelang hinter dem Altar, im Turm und über der Weißdecke ungestört leben; wenn sie aber ein menschliches ungewohntes Geräusch hören, werden sie rebellisch." Es war überhaupt eine gottlose Zeit. Drum strafte unser Herrgott mit Hunger und Krieg wie damals, als die Wackersberger die Kapelle erbauten. Viele Leute ließen sich aber doch davon nicht abbringen, daß es etwas gibt und daß die Geister durch Gebet ruhiger werden.

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Der Schirfer von Arzbach hat selber erzählt, wie er einmal spät nach dem Engelläuten noch an der Pestkapelle vorbeigegangen ist. Da ist ein zottiger, schwarzer Pudel auf ihn zugesprungen. In den glühroten Augen hat ihm das helle Feuer gebrannt und die Zunge ist ihm enzlang aus dem Maul gehängt. Dem Schirfer ist angst und bang geworden, daß er nicht mehr hat beten können und seinem Hirn alle heiligen Namen abgefallen sind. Die hätten den geistischen Hund vertrieben. Erst beim nächsten Feldkreuz, das heute noch mitten im Paunfeld steht, hat das Hundsluder abgelassen.


Der Meßner-Vater, der 1924 gestorben ist, hat einmal im Herbst den alten Blaßl in den Freithof bei der Pestkapelle gesperrt, aber auf unerklärliche Weise ist der Blaß aus dem Gottesacker gekommen. Auch nachher hat ihm der Meßner die Gitter nicht so versperren können, - das Vieh ist nicht drinnen geblieben und ohne Überspringen und ohne daß die Schlösser aufgeschlossen waren, immer wieder erlöst worden.


Quelle: Sagen aus dem Isarwinkel, Willibald Schmidt, Bad Tölz, 1936, 1979;