Der Abt von Benediktbeuern und der Schwedenkönig

Im Jahre 1856 traf Professor Sepp aus Tölz auf dem Weg von Murnau nach Schlehdorf einen Wetzsteinhändler aus Ohlstadt, der ihm allerlei Geschichten erzählte, wie er sie von seinen Voreltern her wußte; darunter auch diese:

Im großen Krieg kam der König von Schweden auch in unsere Gegend und raubte Kirchen und Klöster aus. In Beuern las er über der Pforte die Inschrift: "Benediktbeuern, Kloster ohne Sorgen." Zornig ließ er den Abt kommen und fragte ihn nach dem Grund der stolzen Aufschrift. Der Prälat antwortete: "Wir haben unser Auskommen. Die Untertanen geben uns den reichsten Zehent und sind zufrieden. Deshalb haben wir geschrieben: ohne Sorgen." Der König erwiderte spöttisch: "Wenn Ihr keine habt, dann will ich Euch Sorgen machen. Ich gebe euch drei Rätsel zum Auflösen. Wenn Ihr sie bis morgen früh um sieben Uhr nicht herausgebracht habt, will ich die Kirche und das Kloster ohne Sorgen zu einem Steinhaufen machen!"

Der Prälat kratzte sich hinter den Ohren und konnte die ganze Nacht nicht zur Ruhe kommen. Alle Bücher schlug er nach, aber die Lösung fand er nicht. Da nahm sich der Kuchelbub ein Herz und fragte den hochwürdigen Herrn, was er auf der Seele habe, daß er gar so bekümmert tue.

"Du kannst mir doch nicht helfen", meinte der Abt, "wenn ich Dir's auch sage." "Wer weiß?" sagte der Kuchelbub und am Ende erzählte ihm der Abt die drei Rätsel des Schwedenkönigs:

Wie weit sind Glück und Unglück voneinander?
Wie weit ist's in den Himmel?
Wieviel Sterne steh'n am Firmament?

"Darauf will ich schon Antwort geben!" meinte der Kuchelbub. "Gebt mir nur Euren Habit und das Kapitelkreuz!" In aller Frühe ging er als Abt zum Schwedenkönig. "Wie weit sind Glück und Unglück voneinander?" fragte der. - "Unglück und Glück sind so weit voneinander wie gestern und heut", antwortete der Kuchelbub keck. "Gestern war ich Kuchelbub, heut bin ich Prälat." - "Wie weit ist's in den Himmel?" fragte der König wieder.

"Von der Erde zum Himmel ist kein Wirtshaus auf dem Weg; wenn die Seel ausfährt, ist sie bei Gott." Der König machte ein böses Gesicht, nickte aber ein paarmal mit dem Kopf und dann fragte er zum dritten Mal: "Wieviel Sterne steh'n am Firmament?" Da brachte ihm der Kuchelbub einen Maulesel aus der Meierei und sagte: "Der Esel da hat gerade so viel Haare, wie Sterne am Firmament sind, und wie die Sterne verschwinden, so gehen auch dem Esel von Zeit zu Zeit die Haare aus." - Auf diese Rede konnte der König nichts mehr sagen und er zog mit seiner ganzen Armee ab. Der schlaue Kuchelbub aber hatte im Kloster sein gutes Auskommen, solang er lebte.

Quelle: Sagen aus dem Isarwinkel, Willibald Schmidt, Bad Tölz, 1936, 1979;