Die Venediger Männlein

Der ganze Reichtum Venedigs stammt aus unseren Bergen. Früherszeiten ist alle Jahre ein Männlein von Venedig herausgekommen zum Kirchstein, um in der Wand nach Gold zu suchen. Es hat dort alle Gänge und Minen gewußt.


Beim Oberkerschbräu zu Tölz hat einmal ein Bauer am Zechtisch ausgesagt, er wisse es von seinem Urahn, daß einmal ein fremder Goldsucher gekommen ist, sich eine Leiter von Daxen, womit man den Flachs stiefelt, an das Gewand angelegt hat und hinaufgestiegen ist. Vierzehn Tage ist er oben geblieben. Wie die Zeit um gewesen ist, hat er in einem Tücherl schweres Gold herunter gebracht. Wie er das letzte Mal dagewesen ist, hat er beim Abschied gesagt: "Jetzt komm ich nimmer. Der Weg ist mir zu weit. Wenn ihr reich werden wollt, grabt nur selber nach!"

Ein Bursch hat sich die Stelle gemerkt und ist in die Höhle eingestiegen. Er hat auch die Fingerspuren von dem Zwerg gefunden, wo der das Gold herausgearbeitet hat. Aber das Jahr darauf ist er gestorben und hat nichts von seinem Glück gehabt.

Später haben es die Zigeuner mit ihrer Wünschelrute probiert und die Bauern haben es ihnen nachgemacht. Sie haben auch öfter Proben von solchem kostbaren Gestein nach München geschickt.

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Der Gerold von Krünn hat vor fast hundert Jahren erzählt: "Mein Ahnherr ist ein Wildschütz gewesen. Da ist er einmal dazugekommen, wie das Venediger Manndl mit einem eisgrauen Bart bei einer blauen Flamme gesessen ist und in einem Löffel das Gold geschmolzen hat, das es zuvor aus dem Bach gewaschen hat. Augenblicklich ist aber das Feuer mitsamt dem Manndl verschwunden. Den Löffel haben wir noch daheim und dürfen die Kinder damit spielen."

Im Garslainer Bach bei Mittenwald hat man die Venediger Manndl alle Jahre Gold graben und waschen sehen. Und von der Roten Wand bei Schlehdorf haben sie oft ganze Säcke voll schwarzen Sand fortgetragen. Wie sie das letzte Mal gegangen sind, haben sie gesagt: "Jetzt haben wir für unser Lebtag genug."

Quelle: Sagen aus dem Isarwinkel, Willibald Schmidt, Bad Tölz, 1936, 1979;