In der Wolfsschlucht

Wo am Anfang des Hochtales Mühlau der vom Schwarzenberg kommende Mühlbach in einem kleinen Stauweiher aufgestaut wird und durch zwei dicke Druckrohre seine Wasser siebzig Meter tief hinabsausen läßt, um die vier Turbinen des Elektrizitätswerks im Mühlbacher Sensenwerk zu treiben, dort stürzte das Wasser früher in einer engen Schlucht über Felszacken in grandiosem Wasserfall zu Tal. Heute ist es nur noch der Überlauf vom Stauweiher, der da hinabplätschert, gleich neben dem Wirtshaus "Zur Gfaller Mühle", wo man eine wunderschöne Aussicht ins Inntal genießen kann, während man sich eine gute Brotzeit und einen Schoppen Roten im Wirtsgärtlein einverleibt. Dort am "Gfall" soll es in alten Zeiten sehr gefährlich gewesen sein, wie Ludwig Lintner in seinem Gedicht erzählt:

Beim alten Wasserfall
ging einmal ein Grausen um.
Wölfe schufen hier viel Qual,
brachten Tier und Menschen um.

Wolfsschlucht ward der Ort genannt,
wo die Bestien gehaust,
die der Jäger angerannt
mit dem Speer in nerv'ger Faust.

Wo das Käuzchen schrie zur Nacht
Schlangen fauchten wild empor.
Drachenbrut lag auf der Wacht
vor dem dunklen Felsentor.

Heute steht am Waldesrand
gar ein Gasthaus nett und fein,
wo man niederschaut aufs Land
froh gelaunt bei Bier und Wein.

Zitherklang und Liederschall
lädt dich zum Verweilen ein.
Waldesraunen überall
läßt dich hier nicht traurig sein.

Auch das Wasser stäubt und rauscht
hoch herauf vom Tale traut,
wo ein kleines Elflein lauscht
wohl versteckt im Farrenkraut.

So ist hier ein Zauber hold
ausgestreut auf Wald und Flur,
wenn verrinnt der Sonne Gold
leis am Herzen der Natur.


Ludwig Lintner

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 23