Der Tote im Wirtshaus

Zwischen Fischbach und Flintsbach liegt die kleine Ortschaft Einöden. Obwohl nur wenige Bauern und Kleinhäusler zu ihr gehörten, gab es dort auch früher schon ein Wirtshaus.

In der Zeit, als sich der Bayernherzog Albrecht mit seinem Vetter Ruprecht von der Pfalz um das niederbayerische Erbe stritten, und sich Albrecht in den Bergen zur Verteidigung einrichtete, während Ruprecht mit seinem Heer bereits bis Aibling vorgerückt war, da ließen es sich die bayerischen Landsknechte in einigen Orten des Inntales gar wohl ergehen. So war es auch im Dorfwirtshaus von Einöden. Ein ganzer Haufen von ihnen saß beim Wirt trinkend und schmausend beisammen.

Nun lag gerade ein Toter im Gasthaus. Droben in der "guten Stube" hatte man ihn eingesargt. Das hatten die Zecher erfahren und es war ihnen Anlaß, sich allerlei gruselige Geschichten zu erzählen. Einer von den Burschen tat sich dabei besonders hervor, und als er prahlerisch behauptete, er fürchte sich vor gar nichts, nicht einmal vor dem Teufel, da nahmen ihn seine Spießgesellen gleich beim Wort. "Dann kannst du uns deine Schneid gleich beweisen!" sagte einer. "Geh hinauf in die Kammer, wo der Tote liegt, und halte Wache bei ihm!". "Wenn's weiter nichts ist," versetzte der Angeber, "dann will ich es gleich tun". Er packte seine Donnerbüchse und murmelte vor sich hin: "Wer weiß, ob ich sie brauchen werde?" Dann ging er zu dem Toten.

Dort zog er sich einen Hocker vor den offenen Sarg, setzte sich darauf und nahm seinen Schießprügel zwischen die Knie. Es mochte eine Stunde vielleicht vergangen sein, eine recht langweilige, wie der Totenwächter meinte. Da bewegte sich auf einmal der Tote. Er hob seinen Kopf, machte die Augen auf und starrte mit glasigem Blick den Bewacher an. Der aber schoß ihm allsogleich mitten ins Gesicht. Aber der vom Tode Erwachte fing die Kugel mit einer Hand auf und schmiß sie dem Landser mit solcher Wucht an den Schädel, daß dieser tot umfiel.

Die Kumpane drunten in der Wirtsstube hatten den Schuß gehört. Sie stürmten alle über die wackelige Treppe hinauf, rissen die Tür zur guten Stube auf und fanden ihren Kameraden maustot auf dem Bretterboden liegend. Der Mann aber, der im Sarg gelegen war, der war lebendig geworden und drängte sich zwischen ihnen durch zur Tür. Sie legten nun den toten Kameraden in den Sarg. Bis sie sich dann umschauten, war der lebendig gewordene Tote nicht mehr da. Sie suchten ihn im Haus, ums Haus herum und im Dorf, aber er blieb verschwunden.

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 87