Warum das erste Kirchlein des Inntales auf den Kleinen Madron, den Petersberg, kam
Auch in alten Zeiten endete der Bergwald am Hohen Madron dicht unterhalb
des kuppelförmigen Gipfels. Auf der freien Wiese dort oben hielten
unsere Vorfahren ihre Versammlungen ab, wenn der Gaugraf die Edlen seines
Stammes zu Beratungen zusammenrief, oder wenn Gerichtstag gehalten wurde.
Auf dieser freien Bergwiese hoch über den Niederungen fühlten
sich die Menschen aber auch ihren Göttern besonders nahe, sodaß
sie mit ihren Priestern auf dem "Maderan", was soviel heißt
wie "Berg der Gemeinschaft", auch ihre Gottesdienste und religiösen
Feste feierten.
Kapelle Petersberg auf dem Kleinen
Madron, Fischbach am Inn
©Berit
Mrugalska, 15. Mai2004
Als dann die vom Papst in Rom ausgesandten fünf, sechs Mönche
ins Inntal kamen, um die Bergbauern zum Christentum zu bekehren, wollten
die neuen Christen auch eine Kirche haben. Auf den heiligen Berg der Ahnen,
den Großen Madron, sollte sie kommen. Also fällten Bauern und
Knechte am Berg Bäume und Zimmerleute begannen, die Stämme für
den Kirchenbau zu bebauen. Einer der Männer schlug sich mit der Axt
versehentlich in die Hand, sodaß sein Blut die abgefallenen Späne
rot färbte. Die Arbeit aber ging trotzdem weiter. Jedoch schon am
anderen Morgen hackte sich ein Holzknecht tief in den Fuß und wieder
floß Blut auf die Holzspäne. Und so passierten immer wieder
schlimme Unfälle. "Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen!"
sagten sich schließlich die arbeitgewohnten Männer. Sie unterbrachen
ihre mühsame Arbeit auf dem Berg. Kaum hatte das Lärmen des
Holzhackens aufgehört, kamen ein paar Bergfalken ohne Scheu angeflogen.
Jeder nahm einen von den blutigen Spänen mit seinem Schnabel auf
und schwirrte damit ab. Die erstaunten Leute guckten ihnen nach. Zum Kleinen
Madron hinüber, dem niedrigeren Nachbarberg, brachten die Vögel
die blutigen Späne, legten sie dort nieder und kamen zurück,
um ihr Tun zu wiederholen. Jetzt erkannten die Kirchenbauer, daß
Gott sein Haus nicht auf dem alten Heidenberg haben wollte. Sie packten
ihr Werkzeug zusammen, gingen hinüber auf den Kleinen Madron, der
heute Petersberg heißt, und begannen dort ihr Werk von neuem. Ohne
jeden Unfall konnten sie es jetzt zu Ende bringen. Ihr Kirchlein, zu dem
früher auch noch ein kleines Kloster gehörte, grüßt
heute noch mit seinem behäbigen Sattelturm herab ins Inntal.
Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 89