Wie das Kaisergebirge entstanden ist

Folgende Geschichte ist dem Heimatforscher Professor Rudolf Sinwel zu verdanken und stand ähnlich einmal im "Rosenheimer Anzeiger", von wo sie der 1919 verstorbene Kufsteiner Altbürgermeister und Ehrenbürger und Gründer der Alpenvereinssektion Kufstein, Anton Karg, in sein Büchlein "Sagen aus dem Kaisergebirge" übernahm:

Nicht immer war das Kaisergebirge aus schroffen, zerklüfteten und kahlen Felswänden mit einer riesigen Zahl bizarrer Gipfel aufgebaut, in deren wilder Steinwüstenei kein Halm und keine Blume wächst. Vielmehr war die Nordseite des Gebirges mit saftiggrünen Almwiesen bedeckt, auf denen kräftiges Vieh in kleinen und größeren Herden weidete. Die Besitzer dieser Almen hatten in diesen längst vergangenen Zeiten Überfluß an rahmiger Milch, Butter, Käse und natürlich auch an bestem Fleisch. Es waren reiche Almbauern, und dieser Reichtum ist ihnen zu Kopfe gestiegen und machte sie übermütig. Ein Sprichwort sagt: Reichtum gebiert Übermut und Übermut gebiert Armut. An diesen Bauern hat sich dieser Spruch bitter bewahrheitet.

Die Bauern auf den Kaiseralmen lebten also in Hülle und Fülle und wußten schon gar nicht mehr, womit sie sich noch vergnügen könnten. Ihr Tun und Treiben artete immer mehr aus. Ja, sie achteten nicht mehr der Gottesgaben, die ihnen in so überreichem Maße beschert waren. Statt im Herzen dafür dankbar zu sein, frevelten sie und mißbrauchten zu unziemlichen Spielen das, wovon andere Leute gar oft zu wenig hatten, um ihr Leben zu fristen. Sie bauten sich aus lauter Käselaiben eine Kegelbahn. Die Kegel formten sie aus frischer Butter und die Kegelkugeln backten sie aus Brotteig. Das wurde für diese reichen Leute mal ein Spielchen, wie es sich andere nie leisten konnten. Jubel und protziges Lärmen tönte dabei über die Anhöhen bis ins Tal hinab, wenn sie solchermaßen ihren Spaß beim Kegeln hatten.

Aber über dieses irdische Treiben ergrimmte der Himmel. In einer Nacht brach ein fürchterliches Gewitter los und es schüttete tagelang in Strömen. Die Wasser schwemmten allen fruchtbaren Boden hinweg, sodaß das nackte Gestein zu Tage trat. Noch nicht genug damit: Die Felsen fingen an zu beben, rissen auseinander und türmten sich übereinander und sie erschlugen und begruben Mensch und Tier und Haus und Hütte unter sich.

So ist es geschehen, daß jetzt kahle Felswände emporragen, wo einst grüne Matten sich ausbreiteten. Am Steinberg, dem beliebten Schigebiet, ist oberhalb der Steinbergalm noch heute die versteinerte Kegelstatt zu sehen.

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 153