Irrlichter
In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts und bis in die sechziger Jahre hinein erschreckten über den nassen Wiesen zwischen Ober- und Niederaudorf gar oft rumschwebende Lichter die Leute, die in der Dunkelheit dort noch unterwegs waren. In großer Zahl oft hüpften, tanzten oder wanderten die seltsamen Flämmchen über dem Boden dahin, blieben stehen, verschwanden plötzlich und flackerten ebenso unerwartet wieder auf.
Droben von Eck aus, also am Weg von Oberaudorf aufs Hocheck, waren sie fast jeden Tag besonders deutlich zu sehen, am häufigsten und klarsten im Herbst. In Eck war ein junger Bursch zu Hause, der gar zu gerne erfahren hätte, was hinter diesen spukartigen Erscheinungen stecke. Aber direkt hinunter auf die Wiese, wo sie sich herumtrieben, getraute er sich doch auch nicht.
Ein gutes Stück unterhalb seines Hauses war ein Zaun, von dem aus man die Lichter ausnehmend gut beobachten konnte. In seiner Neugierde ging er eines Abends wieder einmal dort hin. Nicht lange brauchte er zu warten, da ging unten der seltsame Lichtertanz wieder los. An einen Zaunpfahl gelehnt, besah er sich das unerklärliche Lichterspiel, und obwohl er es schon oft gesehen, bekam er noch immer dabei eine Gänsehaut. Aber diesmal überwand er seine Angst und er faßte den Entschluß, sofort hinabzulaufen und mal aus der Nähe nachzuschauen. Gerade wollte er sein Vorhaben verwirklichen und über den Zaun steigen, als in Windeseile ein Lichtlein heranhuschte. Zum Greifen nahe setzte es sich vor ihm auf einen Zaunstecken und flackerte ihn an, mal größer werdend, mal in sich zusammensinkend. Wie lange er diesen Geisterspuk angestarrt hatte, wußte er später nicht mehr zu sagen. Jedenfalls rannte er auf einmal hinauf ins Haus so schnell er nur konnte, ohne sich dabei nochmal umzuschauen.
Als er keuchend in die Stube stürzte, waren die Leute drin entsetzt
über sein Aussehen. Sie brachten den Zitternden in seine Kammer und
legten ihn zu Bett, wo er sogleich in ruhigen Schlaf verfiel. Am nächsten
Morgen war er unfähig aufzustehen. Eine schwere, rätselhafte
Krankheit befiel ihn. Als er nach Wochen das Bett verlassen konnte, konnte
er nur noch am Stock gehen und sah aus wie ein Greis. Sein Leben lang
blieb er hinkend.
Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 39