Das Heppei

Ein Bauer droben auf dem Kleinen Audorfer Berg hatte in seinem Haus ein Heppei. Das war eine große Kröte. Sie war dick, mit vielen Warzen bedeckt und abscheulich anzuschauen. Den ganzen Tag hockte sie unter der Stiege zum Oberstock in einen finsteren Winkel hingeduckt, so daß sie kaum jemand sah, der ihr Versteck nicht wußte. Aber nachts kam das Heppei hervorgehüpft, und dann sprang es plump mit platsch-platsch durchs ganze Haus, ja sogar in der Schlafkammer hörten die Bauersleute die Kröte auf dem Fußboden herumtapsen. Doch keiner im Haus fühlte sich von dem häßlichen Tier gestört, niemand tat ihm was zuleide.

Einmal wurden die Bäuerin und ihre beiden Kinder schwer krank. Kein Doktor vermochte die vielen eiternden Wunden zu heilen, von denen ihre Körper immer mehr befallen wurden. Auch die mancherlei Salben und Krauter brachten keine Linderung, die der Bauer für viele Gulden und Kreuzer von heilkundigen Almerern und Sennerinnen gekauft hatte. So lagen die Ärmsten in ihrer Kammer und warteten aufs Sterben. Die Sorgen um die Seinen ließen den Bauern keinen Augenblick los, so daß er auch seine Arbeit nicht mehr so verrichtete, wie es eigentlich hätte sein sollen und wie er es früher getan hatte. Während er grübelte, wie er denn doch Abhilfe schaffen könnte, ging es mit dem Hof zusehends bergab.

Eines Tages kam er auf den Gedanken, das Heppei könnte an all dem Elend schuld sein. Viele der Nachbarn hatten ihn schon ausgelacht und auch gewarnt wegen seines seltsamen Hausgenossen. Je länger er darüber nachdachte, um so sicherer schien es ihm, das Unglück müsse von dieser greulichen Kröte ausgehen. Und so war er schnell entschlossen, das Tier umzubringen, das sowieso viele für widerlich hielten.

Sofort wollte er sein Vorhaben in die Tat umsetzen. Er holte einen Besen aus der Besenkammer und fing an, das ganze Haus auszukehren. Unter der Stiege endlich fand er das Heppei hocken. Er scheuchte es auf und jagte es zur Haustüre hinaus, die er vorher schon weit aufgerissen hatte. Am Türpfosten hatte er griffbereit einen dicken Prügel angelehnt. Mit diesem wollte er es auf dem Misthaufen vor dem Haus erschlagen. Das Heppei hopste tatsächlich zur Tür hinaus und schon packte der Bauer den Knüppel und holte damit zu einem gewaltigen Schlag aus. Da hob das Tierchen die beiden Vorderbeinchen hoch. Wie bittend hockte es da und schaute den Bauern mit seinen Glotzaugen gar herzzerreißend an. Da konnte der Mann den Schlag nicht tun, und er ließ den Arm mit dem Prügel sinken. Sogleich öffnete die Kröte ihr breites Froschmaul, und quakend kamen die Worte aus ihrem Hals: "Laß mich am Leben! Ich will dir dann auch helfen!" Da bückte sich der Bauer zum Heppei hinab und mit seinen schweren Händen hob er es vorsichtig auf. Er trug es ins Haus und setzte es unter der Stiege ab.

Nicht lange danach, da schlüpfte die Kröte zu den fiebernden Kranken in ihre Kammer. Sie sprang auf die Betten und leckte die Geschwüre der leise Stöhnenden. Dann platschte sie wieder auf den Flur hinaus und zog sich unter die Stiege zurück. Wenige Tage darauf begannen die schlimmen Wunden der Kranken zu heilen, das Fieber ging zurück und bei den Patienten stellte sich allmählich wieder der Appetit ein. In ein paar Wochen waren die Bäuerin und ihre Kinder ganz gesund.

Noch viele Jahre lebte das Heppei in dem Bauernhaus unter der Stiege. Die Leute auf dem Hof hegten und pflegten es, bis es eines Morgens an Altersschwäche gestorben reglos in seiner Ecke lag. Der Bauer begrub es draußen im Obstgarten unter einem Birnbaum, und seine Frau und die beiden Söhne standen traurig dabei und gedachten der Hilfe, die ihnen das gute Tierchen hatte angedeihen lassen. Als sie schließlich, in solche Gedanken versunken, ins Haus zurückgingen, da hüpfte ein neues, kleines Heppei vor ihnen schnell ins Haus hinein.

Der Hof mit seinen Feldern und Tieren kam rasch wieder in Ordnung und die Tiere im Stall wurden nie mehr von einer Krankheit befallen. Zwar wurde der Bergbauer nicht reich, aber er und die Seinen lebten fortan ohne Sorgen und das Glück wich nie mehr aus seinem Haus.

Hast Du, lieber Leser, nicht auch so ein Heppei daheim, ein sichtbares oder ein unsichtbares? Sei es ein treues Tier, wie in unserer Geschichte, sei es ein lieber Mensch, oder seien es gute Gedanken der Erinnerung, die sich immer weiterspinnen lassen wie ein goldener Glücksfaden. Der Audorfer Sagenerzähler wünscht es Dir.

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 157