Die Geistermesse

Eine fromme Frau in Bamberg ging jeden Tag, wie Gott ihn gab, zur Frühmesse in die Oberpfarrkirche und ließ sich von dieser Gewohnheit ihrer Jugendtage auch im Winter nicht abbringen, wenn sie zu nachtschlafender Zeit mit ihrem Laternchen durch den Schnee stapfen musste.

Einmal im Dezember erwachte sie jäh aus einem bösen Traum. Da hörte sie das Frühmessglöcklein, das sie sonst nie im Bett überraschte, sprang schnell heraus, kleidete sich hastig an und entzündete ihr Licht. Im Fortgehen raffte sie noch ihr kostbares Fuchspelzlein von der Wand und hing es sich um. Dann trat sie vor die Haustür.

Große Schneeflocken fielen langsam und dicht und sie sank bei jedem Tritt fast bis an die Knöchel ein. Als sie die Kirchentür öffnete, strömte ihr ein ungewöhnlicher Lichterglanz entgegen. Auch waren alle Stühle mit Betern besetzt, wie sonst kaum beim Hochamt an Feiertagen. Die Frau fiel von einem Erstaunen ins andere. Als sie eilfertig ihrem gewohnten Platz zustrebte, sah sie ihn mitten unter den Knienden noch frei. Die heilige Handlung hatte schon begonnen. Aber der Frau schien es, als ob die Stimme des Frühmessners heute dumpfer klinge denn sonst. Auch die Gemeinde antwortete so seltsam hohl, dass die Frau zu keiner rechten Andacht kommen konnte, sondern bald links, bald rechts nach ihren Nachbarinnen sah, die in eigentümlichen grauen Tüchern tief verhüllt knieten. Als der Priester die Gemeinde entlassen hatte, erhob sich die Frau wirklich erleichterten Herzens. Wie sie sich aber zum Gehen wandte und noch einmal einen Blick auf die seltsamen Gestalten neben sich warf, fiel der einen das dunkle Tuch vom Kopf, und die Frau erkannte zu ihrem Entsetzen ihre alte Base, die schon länger als zehn Jahre verstorben war. Da lief es der Frau eiskalt über den Rücken und ihre Haare begannen sich zu sträuben. Mit wankenden Knien suchte sie den Ausgang zu erreichen. Doch fühlte sie, wie hinter ihr die ganze Schar nachdrängte. Einer plötzlichen Eingebung folgend, riss sie noch kurz vor der Tür ihr Pelzlein herunter und warf es hinter sich. Dann stürzte sie mit einem erlösenden Aufschrei hinaus.

In diesem Augenblick schlug es vom Turme zwölf Uhr. Da wusste die Frau, dass sie in der Geistermesse gewesen war und dass ihr Leben an einem Haar gehangen hatte. Zu Hause fiel sie in einen bleiernen Schlaf, aus dem sie erst erwachte, als ihr Mann sie rüttelte, weil sie überlaut geschrien hatte. Der Mann, dem sie darauf die ganze Geschichte erzählte, glaubte zuerst an einen lebhaften Traum.

Doch als er sich überzeugt hatte, dass das wertvolle Pelzwerk wirklich nicht mehr an seinem Platz hing, zog er sich eilig an und wollte es holen. Auf dem Kirchhof aber überlief den beherzten Mann selbst ein Schauer. Da lagen im Schnee wohl tausend Fetzen über alle die Gräber verstreut. Von Fußtritten aber war nicht eine Spur zu sehen.

Quelle: Andreas Haupt, Die schönsten Bamberger Sagen und Legenden, Bamberg 1877, neu herausgegeben von Gerhard Krischker 2002, S. 35 - 37.