115. Das gefundene Zauberbüchlein.
Der alte Trudeser von der Ebnat im Birgsauertal bei Oberstdorf kam einmal
durch den Riedwald und fand da zufällig auf einem "Tannenstock"
ein altes Büchlein. Er blätterte darin und begann beim Gehen
zu lesen, obwohl er von dem Gelesenen nichts verstand und auch nicht wußte,
in was für einer Sprache es abgefaßt war. Da fing allmählich
der Wald an zu rauschen; die "Tannenbipfel" bewegten und verneigten
sich, und immer mehr fing es in dem Geäste der Bäume an zu krachen
und zu tosen, und doch ging kein Wind. Obwohl nun all das dem Trudeser
auffiel, so merkte er doch lange nicht, daß er durch sein Lesen
dies alles selbst verursacht habe. Erst als er mit dem Kapitel zu Ende
gekommen war und da die Anmerkung fand, man solle alles wieder rückwärts
lesen, wenn man den Zauber aufheben wolle, erkannte er, daß das
Büchlein ein Zauberbüchlein sei. Richtig, als er das Kapitel
zurückgelesen hatte, war im Walde auch wieder alles still und ruhig
wie zuvor. Ob dieser Zauberkraft gefiel ihm das Büchlein immer mehr,
und er lernte es immer besser handhaben und anwenden und konnte dann sogar
jederzeit den Teufel in seine Nähe herbeizitieren, so nahe mindestens,
daß er mit ihm reden konnte. Dieser erschien aber stets in einem
grünen Jägerkleide und hatte Bocksfüße.
Quelle: Allgäuer
Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter
des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München
1914, Nr. 115, S. 123.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, März 2005.