108. Wildbanner.
1.
Der alte Meichelbeck zu Seeg war ein ganzer Hexenmeister und verstand als leidenschaftlicher Wildschütze vor allem gut das Wildbannen, das er oft auch ausübte. Einmal traf ihn der alte Geiger beim Jagen in der Lobacher Gemarkung, als er gerade einen Hirschen gebannt hielt. Das Tier stand voller Schweiß da, zitterte am ganzen Leibe und konnte keinen Schritt mehr weiter. Der Geiger, der Mitleid mit dem Wild hatte, fragte, wie denn das Hexenwerk nur möglich sei; er möchte doch einmal sehen, wie das zuginge. Das könne er leicht sehen, sagte der Bannkünstler; er brauche sich nur ein Brett von der Truhe eines begrabenen Kindes zu verschaffen, in dasselbe fünf Löcher zu bohren und durch das fünfte durchzuschauen, dann werde er den wahren Vorgang schon sehen. Der Geiger verschaffte sich ein solches Brett, durchbohrte es, wie ihm angegeben wurde, und ging nun wieder mit auf die Jagd. Sobald da der Hexenmeister ein Wild bannte, blickte er durch das Brett und sah zu seinem Entsetzen, wie das Tier vom leibhaftigen Teufel festgehalten ward.
2.
In Stanzach lebte einstmals ein Jäger, der die Gemsen bannen konnte, und wenn er irgend eine sah, so war sie schon sein. Als nun das der Geistliche erfahren hatte, so fragte er den Jäger, ob er denn auch wisse, was eigentlich beim Bannen geschehe. Nein, das wisse er nicht. Ja, dann wolle er einmal mit ihm gehen. Nun mußte der Jäger wieder eine Gemse bannen, und dann ließ der Herr ihn durch den Ärmel seines Chorhemdes durchblicken. Da sah der Jäger, wie der armen Gemse "die Tränen nur so herunterbobbelten", und wie sie am ganzen Leibe zitterte, und daß zu seinem Entsetzen der Teufel sie festhielt.
Der Geistliche nahm ihm nun das Bannbüchlein ab und warf es in das
Ofenfeuer. Augenblicklich aber verschwand es wieder aus dem Feuer und
fand sich hernach in der Rocktasche des Jägers. Erst als er es in
ein Kelchtüchlein einwickelte und so ins Feuer warf, verbrannte es.
Der Jäger aber hat fürderhin nie mehr Wild bannen mögen.
Quelle: Allgäuer
Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter
des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München
1914, Nr. 108, S. 117 - 118.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, März 2005.