82. Der Teufel und der Doktor.

Ein Doktor ging einmal ins Gebirg heilsame Kräuter zu sammeln. Da kam er beim Suchen von ungefähr an einer großen Tanne vorbei und bemerkte, daß in einer Wurzel, welche über den Boden herausragte, ein kleines Zäpflein steckte, das offenbar von Menschenhand hineingeschlagen worden sein mußte. Während er sich davor einige Augenblicke aufhielt, hörte er auf einmal eine gedämpfte Stimme, die hinter dem Zäpflein und aus der Wurzel hervorzukommen schien. Verwundert hierüber fing nun der Doktor an, an dem Zäpflein zu "rotteln und gnappen", ob er es nicht herausbrächte, um dahinter zu kommen, was denn hier Seltsames wäre. Nach langem Probieren gelang es ihm auch, das Zäpflein zu ziehen, und nun sprach die Stimme aus dem Löchlein: "Ich bin da hereingebannt und kann nicht heraus, bevor du mich nicht eigens herausrufst. Willst du das tun und mich befreien, so will ich dir alle Heilkräutlein zeigen, die es gibt, daß du bei den Kranken Wunder erleben wirst." Der Doktor aber dachte sich, das könnte ihm ja zum Glück und tausenden Leidenden zur Genesung verhelfen, und so rief er: "Gut, komm heraus!" Da kroch etwas aus dem Löchlein hervor und verschwand sogleich im Grasboden. Auf einmal aber richtete sich ein hagerer Mann auf, an dem er sogleich erkannte, daß es der Teufel sei. "Komm mit!" sprach dieser, und nun wanderten sie beide miteinander weit umher, und der Teufel wies ihm bald da bald dort ein heilkräftiges Blümlein oder Kräutchen und setzte ihm haarklein auseinander, wofür es helfe, und wie man es anwenden müsse. Das hatte nun alles dem Doktor über die Maßen wohl gefallen, wenn er sich nur nicht hätte sagen müssen, daß er dafür dem Teufel wieder auf die Beine geholfen, der wieder so und so viele ins Verderben bringen werde. Das machte ihm Kummer, und darum sann er lange nach, ob er ihn nicht doch etwa unschädlich machen könnte. Endlich kam ihm ein guter Gedanke, und den wollte er gleich ausführen. Er lenkte so ganz unversehens die Schritte wieder der Tanne zu, in welcher der Teufel gesteckt hatte, und als sie beide bei derselben vorbeikamen, sprach der Doktor: "Derjenige, der Euch da in die Tanne hineingebannt hatte, muß doch ein mächtiger Mann gewesen sein, daß er imstande war, Euch in ein so kleines Löchlein hineinzuzwängen. Aus eigener Macht könntet Ihr Euch wohl schwerlich so zusammenziehen." "O warum denn nicht? Das ist für mich doch nur eine Leichtigkeit und bedarf keiner fremden Beihilfe." - "Verzeiht mir! Ich halte zwar viel von Euerer Macht und Kunst, kann mir aber dennoch nicht denken, wie Ihr das so mir nichts dir nichts fertig bringen solltet." - "Was gilt es, ich kann's?" - "Vielleicht; aber ich möchte es doch lieber auch sehen." Da rief der Teufel: "So gib einmal acht, wie leicht das geht!" Er verschwand und alsbald kroch etwas zum Löchlein hinein. Der Doktor hatte aber unterdessen das Zäpflein schon bereit gehalten und steckte es nun schnell hinten nach und schlug es wieder fest ein. So war der Teufel wieder eingesperrt wie zuvor, indes sich der Doktor seiner List freute und frohgemut mit seinen gesammelten Kräutern und neuen Kenntnissen heimkehrte.

Soviel man aber merkt, hat seitdem längst schon wieder einer das Zäpflein gezogen.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 82, S. 87 - 88.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.