291. Die "blinden Seeger" und der "Seeger Hummel".
Böse Leute sagen, die Seeger seien von nachmittag drei Uhr an blind; das hätten sie auch einmal bei einer Hochzeit in einem Nachbarorte bewiesen, zu der sie in großer Anzahl, jeder mit seinem eigenen Fuhrwerke, angefahren kamen. Da hätten sie sich gar gütlich getan und sich's prächtig schmecken lassen, sowohl Essen als Trinken. Als sie aber des Nachmittags um drei Uhr zu ihrer Heimfahrt einspannten, hätten sie durch die Bank ihre Gäule verwechselt, also daß jeder mit einem fremden heimkam und darob viel Verwirrung entstand. Das sei aber nur daher gekommen, daß sie von dieser Zeit an blind sind, und drum ist auch heutigen Tages noch "blinder Seeger" sprichwörtlich.
Auch erzählt man von ihnen, daß sie einmal einen gar "schlechten
Jahrgang" hatten, in dem es fast fortwährend regnete und kein
Sommer kommen wollte. Schon war ihnen um ihre Ernte bange, und sie gewärtigten
ein vollständiges Mißjahr. Da erfuhren sie von einem Handwerksburschen,
der von Oberdorf heraufgekommen war, daß es dort und im Unterland
schon längst Sommer und alles im schönsten Wachstum sei. Auf
die frohe Kunde hin beschlossen sie, sie wollten sich von dorther den
Sommer verschreiben lassen, und schickten zu diesem Zwecke ein altes,
erfahrenes Männchen, das klug reden konnte, mit einem großen
Buckelkrätten auf dem Rücken hinab nach Oberdorf. Er kam hier
gut an und erhielt auch richtig von den Oberdorfern, die ihre Leute kannten,
ein Schächtelchen; in dem sei, wie sie sagten, gut Wetter enthalten.
Seelenvergnügt trat das Mannte wieder den Heimweg an; als es aber
in der Nähe von Seeg auf eine Anhöhe kam, konnte es angesichts
seiner Heimat die Freude und den Wundergern nicht mehr bezähmen und
hob den Deckel vom Schächtelchen ab. Brr! Da flog ein Hummel heraus
und der Richtung nach Oberdorf zu. Verdutzt und bestürzt sah das
Männle das gute Wetter wieder zurückfliegen und rief daher in
einem fort: He! gut Wetter daher! Seeg zu! Allein der Hummel kehrte sich
nicht daran, und so hatte sich der Seeger den Sommer verscherzt, wenn
er später nicht doch gekommen ist. Wenn man aber die Seeger aufziehen
will, fängt man vom Hummel zu reden an.
Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers
"Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus"
ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 291,
S. 300f.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.