220. Die Prasberger und die Stadt Wangen.

In der Umgegend der Stadt Wangen hatten die Ritter von dem nahen Prasberg viele Besitzungen, und auch in der Stadt selber gehörte ihnen ein großes schönes Haus am Marktplatze. Wenn nun damals ein Untertane Hochzeit hielt, sa (sic!) kam nach der kirchlichen Trauung ein Wagen vor die Kirche gefahren und brachte dann die Braut in das erwähnte Haus oder auf die Burg Prasberg, und sie wurde von da erst nach drei Tagen dem Bräutigam wieder zurückgegeben. Die Wangener aber nahmen daran Ärgernis, und da sie sonst auch gegen die Ritter spänig waren (in Streit geraten waren), so zerstörten sie einmal dieses Haus von Grund aus und machten es dem Erdboden gleich, worüber ihnen die Prasberger blutige Rache schworen. Da ihnen aber die Stadt zu einem offenen Angriff zu stark und mächtig war, beschlossen sie einen heimlichen Überfall, und um einen solchen zu verabreden, bestellten sie all ihre zuverlässigen Mannen und befreundten Ritter der Umgegend auf einen Sonntag in die Kapelle zu Herfatz. Hier beratschlagten sie das Nähere und kamen überein, daß sie am kommenden Neujahrstag, wo die Wangener sich dessen sicherlich nicht versehen würden, die Stadt überfallen wollten. Diese Abmachung hatte aber ein altes Weiblein, das in der Kapelle in einem Stühlchen etwas abseits gebetet hatte und von den Rittern unbemerkt geblieben war, mitangehört, und nachdem die Männer wieder fort waren, ging sie eilends nach Wangen und sagte denen alles, was sie angehört hatte, und daß sie sich vorsehen sollten.

Als nun am Neujahrstag die Prasberger mit ihren Mannen gegen Wangen herangezogen kamen, wurde ihnen von den Bürgern ein rauher Empfang zuteil. Besonders waren es die Schmiede, die mit eisernen Spießen und Stangen den Rittern arg zusetzten und greulich unter ihnen hausten, daß die Funken aus den Harnischen stoben, und wer nicht erschlagen wurde, davonfloh.

Zum Andenken an die siegreiche Zurückweisung des heimtückischen Überfalls ritt noch bis zum Beginn dieses Jahrhunderts jedes Jahr am Neujahrstag während des Gottesdienstes ein Reiter am Stadtwall "auf der Buch" herum und schwenkte ein Fähnlein.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 220, S. 229f.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.