140. Niesende Geister.
1.

Unter einer bestimmten Brücke bei Betzigau hielt sich vor Zeiten lange ein Geist auf, der sich des Nachts durch fortwährendes "Pflitzgen" oder Niesen vernehmbar machte, und den man darob nur mehr den "Pflitzgar" nannte, seiner aber kaum mehr achtete. Da kamen auch einmal zwei Näherinnen, die von der Stör heimkehrten, abends spät über die Brücke und hörten ebenfalls den Pflitzgar niesen, ließen es sich aber nicht verdrießen, jedesmal "Helf dir Gott!" zu rufen, so oft das Niesen sich auch wiederholte. Dadurch aber hatten sie den Geist erlöst, und er erschien um zu danken. Da hielten sie ihm den Ellenstab entgegen, den der Geist erfaßte, und in dem sogleich als Wahrzeichen alle fünf Finger eingebrannt waren.

2.

Im Loach bei Hindelang gegen den Pestgottesacker zu ging früher ein Geist um, der den Nagelschmieden, wenn sie morgens früh an die Arbeit gingen und hier vorbeikamen, auf den Rücken sprang und sich über das Brückelein tragen ließ. Auch einer Näherin passierte das öfters, wenn sie von der Stör hier vorbeikam. Einmal aber hörte sie hier oft nacheinander niesen; sie ließ sich's aber nicht zuviel sein, jedesmal "Helf Gott!" zu rufen, und dadurch ward der Geist erlöst. Er bedankte sich und sagte, sie solle ihm den Ellenstab hinhalten, daß er ihr ein Wahrzeichen hinterlassen könne. Wirklich sah man hernach auf dem Stabe deutlich fünf Finger eingebrannt.

3.

Dem Kaufbeurer Boten von Oberdorf erschien vor etwa 60 - 70 Jahren, wenn er des Nachts auf seinem Heimwege zu der Wertachbrücke bei Biesenhofen kam, öfters ein Licht, so daß ihm zuletzt darob unheimlich wurde. Da ward ihm geraten, wenn ihm das Licht wieder erscheine, solle er es ansprechen und fragen, was es begehre. Das tat der Bote auch; aber auf seine Frage vernahm er nur ein Niesen, worauf er, wie es üblich ist, "Helf dir Gott!" rief. Das tat er auch bei dem folgenden zweiten Niesen; bei einem dritten aber schwieg er. Da sprach eine Stimme: "Wenn du das dritte Mal auch "Helf dir Gott!' gerufen hättest, wäre ich erlöst worden; so aber muß ich wieder weiter herumirren."

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 140, S. 141 - 142.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, März 2005.