268. Heilig Kreuz bei Kempten.

Dieser Ort, drei Viertelstunden von Kempten entfernt, hat seinen Namen von einem hölzernen Kreuze, das im Jahre 1691 an dieser Stelle errichtet worden ist, da noch keine Kirche und kein Klösterlein hier stand. Die Veranlassung zur Aufstellung jenes Kreuzes, an dessen Stelle dann eine Kapelle erbaut und zu einer Kirche vergrößert wurde, ist folgende Begebenheit gewesen:

"Am 24. Juli, am Vorabende des Jakobitages, sah Elisabeth Hörner, geb. Weger, da sie auf der Wiese Heu aufrechete, helles klares Blut, das aus der Erde herausfloß und ihre Füße blutrot färbte. Sie rief ihren Ehemann und ihre zwei Dienstmägde und einen Zimmermann, der im nahegelegenen Hause arbeitete, daß sie die wunderbare Erscheinung ansehen möchten. Diese fanden auf einer kaum tischgroßen Fläche an verschiedenen Stellen klares Blut aus der Erde aufwallen. Die Aufwallung dieses Blutes dauerte über eine Viertelstunde lang und erreichte die Höhe von einem halben Fuß. Die fürstlich-kemptensche Obrigkeit erhielt davon Kunde und vernahm die fünf Augenzeugen dieser auffallenden Erscheinung. Dieselben bestätigten ihre Aussage mit einem Eide."

Die geistliche Obrigkeit ließ an Ort und Stelle eine Untersuchung vornehmen um zu erfahren, ob die Erscheinung nicht eine natürliche Ursache habe. Beim Nachgraben fand man an der bezeichneten Stelle nichts als Mooserde und verfaultes Holz.

Jetzt wurde an dieser Stelle ein hölzernes Kreuz errichtet, zu dem gar bald viele Leute der Umgegend, die von der Bluterscheinung auf der Erde gehört hatten, hin wallfahrteten. Der vom Blute besprengte Rechen ward besonders in Ehren gehalten und wird auch jetzt noch in der Kirche aufbewahrt. Alsbald geschahen Wunder an Kranken und Leidenden, die zu diesem Kreuze gebracht wurden und bei demselben ihre Andacht verrichteten.

Vorzügliches Aufsehen machte die Heilung eines sehr elenden Mannes aus der Pfarrei Missen und einer beinahe ganz erblindeten Person aus Immenstadt.

Allmählig (sic!) kamen ganze Gemeinden, um an diesem Orte göttlicher Gnadenerweisungen ihre Andacht zu verrichten und den Gekreuzigten um Schutz ihrer Seelen gegen die Macht der Sünde, ihrer Leiber wider allerlei Krankheiten, ihrer Herden gegen verheerende Seuchen und ihrer Äcker und Wiesen gegen Hagel und Mißwachs anzuflehen. Daß aber die frommen Bitten der Gläubigen in ihrem Anliegen erhört wurden, bezeugten die vielen Votivtafeln, die am Kreuz angeheftet wurden. Alle erfuhren


"Daß des Herren heilig Blut
An den Gläub'gen Wunder tut,
Daß der Heiland Jesus Christ
Schutz und Schirm den Seinigen ist."

"Doch drei Jahre sind verflossen kaum,
Glänzet an des dunkeln Wandes Saum
Ein gar liebes Kirchlein licht und hell
An des wundertät'gen Kreuzes Stell."


Der Fürstabt zu Kempten Rupert von Bodmann erlaubte, daß zum Kirchlein auch eine Wohnung gebaut wurde für einen Priester, der für die frommen Wallfahrer die hl. Messe lesen und ihnen die Sakramente spenden sollte. Dies erste Kirchlein war nur von Holz gebaut.

Das Hauptfest war und blieb das Fest der Erfindung und Erhöhung des hl. Kreuzes (3. Mai und 14. Sept.); dann zum Andenken an die wunderbare Bluterscheinung der 24., 25. und 26. Tag des Julius. An letzten drei Tagen wurde jedes Jahr das sog. 40stündige Gebet gehalten.


Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 268, S. 274ff.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.