99. Das Hexenroß.
In einer Mühle stand einmal ein Mahlknecht
in Diensten, der von den Hexen arg verfolgt und gepeinigt wurde. Wenn
er nämlich nachts im Bette lag, kamen sie über ihn, rissen ihn
vom Lager, warfen ihm ein Pferdekummet um den Hals und spannten ihn wie
ein "rechtmäßiges Roß" ein. Er mußte
dann all die Hexen stundenlang herumfahren, bis sie ihn zuletzt wieder
ausspannten und in sein Bett verbrachten. Da klagte der Knecht, der ob
der nächtlichen Hetze und Plage ganz abmagerte und schwach wurde,
einem klugen Mann, der in Hexensachen gut Bescheid wußte, seine
Not und bat ihn um Hilfe. "Laß nur mich sorgen!" sagte
der, "ich will mich heute nachts an deiner statt in dein Bett legen,
und dann will ich mit den Hexen schon fertig werden."
Er machte es so, und richtig kam des Nachts eine Hexe mit einem Pferdegeschirr
in die Kammer und wollte es dem im Bette Liegenden umwerfen. Der aber
war schon vorbereitet, benutzte einen Vorteil, entriß ihr das Kummet
und kehrte nun den Stiel um, indem er es der Hexe um den Hals warf und
diese dann zwang ihm Roß zu sein. Er spannte sie an einen Wagen
und fuhr mit ihr aus. Nachdem er genug gefahren, spannte er das Roß
wieder aus und stellte es in den Stall, aber ohne es auszuschirren. Hierauf
legte er sich wieder zu Bett. Als man ihn des Morgens fragte, wie es ihm
in der Nacht gegangen sei, sagte er: "Ganz gut ist das Fuhrwerk von
statten gegangen; zudem haben wir jetzt den schönsten Fuchs im Stall
und ein Geschirr gleich auch dazu!" Als man nun im Stalle nachsah,
stand die Müllerin angeschirrt im Pferdestande.
Quelle: Allgäuer
Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter
des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München
1914, Nr. 99, S. 105 - 106.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, März 2005.