242. Der Hexenplatz auf dem Säuling.

Auf dem Säuling bei Füßen [Füssen] kamen ehedem in gewissen Nächten die Hexen von der ganzen Umgegend zusammen, hielten ihre Tänze und üppigen Gelage und huldigten ihrem Obern, der in ihrer Mitte saß. Trafen sie auf ihrer Fahrt jemanden, der nicht gut gesegnet war, auf offenem Felde, so erfaßten sie ihn und schleppten ihn in den Lüften mit fort bis auf die Bergesspitze. Die meisten wurden von diesem Schicksal erreicht auf der Strecke zwischen Reutte und Mühl, an der Stelle, wo jetzt ein Feldkreuz steht und wo sich die Wege kreuzen. Hier hatten nämlich die Hexen eine "Fahrt" durch und hier hörte man das "Hexenspiel" häufig durchziehen. Am schlimmsten machten es die Hexen einmal einem Pflacher, Namens Trentini, der freilich auch ein gar jähzorniger Mann war und die Untugend hatte, bei jeder kleinen Verdrießlichkeit schrecklich zu schwören und zu fluchen. Dieser Trentini lag einmal abends spät im Bett, als ihn das Klingeln zahlreicher Weißglocken vor dem Fenster und der Tür aufweckte. Da dachte er nicht anders, als all seine Geißen seien los geworden und aus dem Stalle, der vielleicht aus Fahrlässigkeit offen geblieben, entkommen. Schnell sprang er auf, kleidete sich nur wenig an und eilte hinaus, um sich ins Mittel zu legen. Doch kaum hatte er des Hauses Schwelle überschritten, so fuhr eine Schar Hexen auf ihn ein, riß ihn beim Haar mit sich fort in ungeheurer Schnelle in eine tiefe Wildnis, wo ein Feuer flammte. Nach einiger Aussage hatten sie ihm ein Halfter um den Kopf geworfen und ihn an demselben fortgezerrt. An dem Feuer beschlugen sie ihm nun Hände und Füße mit Hufeisen, legten ihm einen Pferdezügel an, setzten sich auf ihn, peitschten ihn, und von einer unerklärlichen Macht getrieben, gewann er so viele Kraft, seine Reiterinnen alle bis auf die Spitze des Säulings zu tragen.

Ganz erschöpft von diesem Hexenritt ward er nun wie ein Roß an einen Pfahl gebunden, und nun mußte er mit ansehen, welch wüstes Gelag und welch scheußliche Tänze auf dieser Höhe stattfanden. Es waren lauter Teufel da, die mit den Hexen tanzten, schmausten und zechten, und als der Spuk vorüber war, mußte er wieder Pferd sein und nicht minder schnell abwärts rennen, als er aufwärts gerannt war.

Noch war aber Pflach nicht erreicht, da begann von der Glocke zu Breitenwang das erste Gebetläuten. Hui! fuhren die Hexen zeternd davon; dem Benedikt fielen aber die Hufeisen von Händen und Füßen ab, und auf einmal lag er vor seiner Haustürschwelle, hingerückt durch Hexenzauber. Darauf wurde er auf lange Zeit krank und hatte seitdem ein närrisches Wesen angenommen, ritt über die steilsten Steingerölle und Steinrutschen mit größter Leichtigkeit, wobei er sich rittlings auf seinen Stock setzte und davonraste, besonders dann, wenn er etwas eingeschmuggelt hatte und die Grenzjäger ihm auf der Ferse waren. War er vor ihnen in besonderer Not, so setzte er sich auf seinen Stock und ritt auf demselben über Berg und Tal auf und davon. Wegen seiner Erlebnisse auf dem Säuling nannte man ihn allgemein das "Hexenroß" oder auch den "Hexenreiter".


Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 242, S. 252ff.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.