98. Die Hexenfahrt.
1.
Ein
Bauer wollte einmal des Nachts sein Weib wecken, fand aber zu seiner Überraschung
statt ihrer ein Scheit Holz im Bette liegen. Da faßte er schlimmen
Verdacht, nahm sich aber vor, am Morgen von seiner Entdeckung nichts verlauten
zu lassen, um künftig besser aufpassen und ihr nachschleichen zu
können. Richtig vergingen gar nicht viele Nächte, während
deren er achtgegeben hatte, so stand das Weib, als sie den Mann schlafend
glaubte, wieder auf und "dixelte" zur Gadentür hinaus und
er ihr allsogleich heimlich nach. Da sah er, wie sie beim Ofenloche stand,
ein Salbhäfele vom Gesimse herablangte, sich mit der Salbe die Knie
einrieb und dann sprach: "Omma nus und nina na!" Und nun fuhr
sie plötzlich zum Kamin hinauf und fort. Holla! dachte sich der Mann,
das kannst du auch und fahrst nach und bestrich sich mit der Salbe. Er
hatte aber das Sprüchlein nicht richtig verstanden und rief: "Omma
nus und üb'rall na!" Da nahm es ihn wohl auch in die Höhe;
aber schon im Kamin wurde er so jämmerlich an allen Ecken und Wänden
herumgeworfen, und draußen an alle Bäume und Zäune und
Felsen gestoßen, daß er ganz zerschunden und über und
über mit "blauen Mälern" und "Mäßen"
bedeckt war. Als er endlich auf einem Platz ankam, sah er, wie die Hexen
in großer Anzahl bluddnackt herumtanzten und sich immer wieder vor
einem verneigten, der Bockfüße hatte. Da rief er voll Entsetzen:
"Jesus, Maria und Joseph!" Und kaum hatte er die heiligen Namen
ausgesprochen, so waren alle wie auf einen Schlag auseinander gestoben
und verschwunden; er aber steckte in einem großen, fürchterlichen
Sumpfe.
2.
War mal im Oberlande ein Mann und eine Frau. Die Frau war
eine Hexe und fuhr viele Nächte immer fort. Ihr Mann merkte, daß
sie nicht selten nachts gar nicht daheim im Bette sei, wußte aber
nicht recht wessen Geschäftes wegen. Einmal schlich er ihr nach und
schaute von der Stube zum kleinen Küchenfensterle hinein. Gerade
langte die Frau einen Besenstiel, nahm ein Sälblein vom Kamin herab,
bestrich ihn, setzte sich darauf und fuhr durch den Rauch hinauf. Der
Mann hörte rufen: "Hopp, hopp auf und nene na!" Der Mann,
nicht faul, machte es auch so und fuhr wie's Wetter durch's Kamin. Er
kam nach langer Luftfahrt in einen ungeheuren Saal, wo großer Hexentanz
war. Über die Maßen ging's lustig her, von Mitternacht bis
gegen Morgen. Auf einmal hörte er ein Munkeln im großen Gewühle:
Jetzt läutet man's Bet! Husch! Alles zerstob und war wie weggeblasen.
Der gute Mann wußte nicht, was dies zu bedeuten hatte, er hörte
eine ferne Frühglocke lauten. Gut, er hatte sich verspätet.
Auf einmal saß er jämmerlich auf weitem, ödem Felde, wo
nichts als Gräber und Totengerippe zu sehen waren, in landfremder
Gegend. Zwei Jahre brauchte er, bis er wieder in seine Heimat kam.
Quelle: Allgäuer
Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter
des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München
1914, Nr. 98, S. 103 - 105.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, März 2005.