15. Das Goldbrünnelein im Balderschwanger Tal.
Im Balderschwanger Tal ist eine Erzrinne, und da läuft ein Goldbrünnelein.
Darunter ist schon seit Jahr und Tag ein Kübelein gestellt, und das
Gold läuft ebensolang schon daraus über, aber niemand findet
den Ort mehr, wo es ist. Dahin kam ehedem alljährlich ein Venedigermännle
und blieb jedesmal in einer nahen Sennhütte Übernacht, mit deren
Senn es gut bekannt und vertraut geworden. Das Männlein war in alle
Geheimnisse eingeweiht und erklärte nun einmal beim Abschiednehmen,
daß es diesesmal das letztemal dagewesen sei, denn es müsse
nun sterben. Es wolle dem Sennen ein Goldbrünnlein zeigen; da dürfe
er nur ein Gefäß unterstellen, dann werde es voll von Gold,
das darin zusammenschweiße. Der Senn tat dem so und stellte im Herbst
einen Kübel unter. Sobald im Frühling der Schnee geschmolzen
war und er zum "Hagen" (Zaunschlagen) in die Alpe kam, sah er
sich zu allererst nach dem Kübel um, und siehe da, er war voll von
Gold! Da leerte er ihn aus, um ihn neuerdings unterzustellen, und nahm
den großen Klumpen Gold mit, an dem er schwer zu schleppen hatte.
Auf dem Heimwege begegnete ihm die Kreuzwochenprozession, und der wollte
er ausweichen und ging vom Wege abseits. Ob solchen Gebahrens hielt man
ihn aber an, fragte ihn, weshalb er die Leute zu scheuen brauche und der
Prozession ausweiche, und wohin er wolle, worüber der Senn nur mit
Not Rede stehen konnte. Als man aber den großen Klumpen Gold bei
ihm fand, schöpfte man erst recht Verdacht, nahm ihn gefangen mit
und kerkerte ihn ein. Man erklärte ihm, er würde nicht eher
frei, bis er sage, woher er das Gold habe. Er aber verriet es nicht und
starb im Gefängnisse, und seit dieser Zeit steht auch der Kübel
voll Gold bei dem Goldbrünnelein, das niemand bis jetzt hat finden
können. Der Senn aber muß seitdem geisten und den Schatz hüten,
weil er ihn niemand "offeriert" hatte.
Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen,
Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt
von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 15, S. 23 - 24.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.