217. Vom ewigen Juden.
1.
In ein "einschicht" stehendes Haus bei Burgberg kam vor langem einmal abends ein fremder Mann und bat um Nachtquartier. Da sagten die Bauersleute, sie seien eben ihrer selbst viele und hätte keine andere Lagerstätte als die "Gutsche" in der Stube; wenn er sich damit begnügen möge, so wollten sie ihn gerne "behalten". Das sei schon lang genug für ihn, meinte nun der Mann, und so blieb er. Da fiel es aber alsbald allen auf, daß der Mann, der von der Reise doch müde sein mußte, sich nicht niedersetzen und ausruhen wollte, vielmehr überall "herumstiefelte" und sich bald da, bald dort zu tun machte. Doch wollten sie ihn darüber nicht zur Rede stellen und ließen ihn nach Belieben gewähren. Als sie nun zu Bette gingen, stach sie ordentlich der Wunder, was denn der seltsame Alte weiter treiben werde, und ob er nicht einmal zur Ruhe komme und sich setze oder niederliege, und so guckten sie lange verstohlen durch ein Astloch in die Stube. Da bemerkten sie, wie er alsbald den Tisch mitten in das Zimmer rückte und in einem fort um denselben herumging. Daran erkannten sie, daß der Alte niemand anderer sei als der ewige Jude, und hatten Mitleid mit ihm. Am Morgen ging er beizeiten weiter, und zwar schlug er die Richtung gegen Blaichach zu ein.
2.
Der ewige Jude kam auch einmal durch Oberdorf und Hindelang und begab sich, als gerade der sonntägliche Gottesdienst war, auch in die Kirche. Dort lehnte er sich an einen Stuhl und hörte aufmerksam der Predigt zu, und so oft der Pfarrer den Namen Jesus aussprach, machte er eine tiefe Verneigung.
Er trug ein einfaches Röcklein, "graue zwillwise Hosen" und hatte eine schmächtige Gestalt und ein altes Aussehen. Er ging dann Reckenberg zu, wo er beim Küfer Übernacht blieb und die ganze Nacht um den Tisch herumlief, bis auf eine Stunde, während welcher er ruhen durfte.
3.
Der ewige Jude pflegte auf seiner Wanderschaft nur in hölzernen Häusern oder wenigstens in solchen, die mit Mörtel nur angeworfen waren, einzukehren. Stets hatte er nur einen Groschen bei sich; der ging ihm aber nie aus und erneute sich immer wieder, soviel er auch Geld ausgeben mochte. Auch nach Hinterstein ist er einmal gekommen und sogar da übernacht geblieben, wobei er, wie auch sonst überall, die ganze Nacht um den Tisch herumging. Er hatte hier eine lange dunkle Kutte an, fast wie ein Mönch, und eine alte, schmutzige Tasche umhängen. Als er wieder weiter wanderte, schlug er den Zipfelsteig ein, der zur Zipfelsalpe und dann nach Schattwald führt.
Das ist aber schon gar lange her, und seitdem hat ihn schon längst ein frommer Papst erlöst und ihm Ruhe verschafft.
4.
Der ewige Jude ist auch schon einmal nach Einharz gekommen und dort übernacht geblieben. In seinem Mantel hatte er ein Loch, und es hieß immer, dieses Loch bleibe zu ewigen Zeiten darin und werde nicht größer und nicht kleiner.
5.
In Oberstdorf hat man zu Anfang dieses Jahrhunderts während des Gottesdienstes in der Pfarrkirche einen Mann von langer Gestalt und mit langen, über die Schultern herabhängenden Haaren gesehen, der barfuß vor der Kanzel stand und der Predigt zuhörte. So oft der Name Jesus genannt wurde, habe er an seine Brust geschlagen und geseufzt. Als die Leute hernach den Mann nach seiner Herkunft fragten, stellte es sich heraus, daß es der ewige Jude war.
6.
Auch nach Buchenberg soll der ewige
Jude einmal gekommen sein. Er konnte daselbst weder sitzen noch stille
stehen und sei sogar während der Predigt in der Kirche bald vorwärts,
bald rückwärts umhergewandelt. Im Wirtshause sei er die ganze
Nacht um den Tisch herumgegangen. Als man ihm Schuhe und Strümpfe
anbot, habe er solche abgewiesen und gesagt, wenn er alle Schuhe und Strümpfe
hätte, die man ihm schon habe schenken wollen, so würden vier
Roß sie nicht von der Stelle zu ziehen vermögen.
Quelle: Allgäuer
Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter
des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München
1914, Nr. 217, S. 223 - 226.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, März 2005.