157. Das Ruiweible bei Eschach.

An den waldigen Gehängen entlang des Rappenbaches unweit Eschach bei Aichstetten und vorzugsweise am Riedener Ruine (Rain) und in dem Walde unterhalb Schnaggenberg hauste früher das "Ruiweible". Es war ganz alt und häßlich, erschien und verschwand meist ganz plötzlich und ist früher von vielen sowohl bei Tag als bei Nacht gesehen oder gehört worden; ja es gibt in der Gegend da und dort jetzt noch alte Leute, die es in ihrer Jugend gesehen haben wollten. Am meisten hatten aber mit dem Weible die Hirten zu schaffen, denen es sich oft zugesellte und ihnen nicht selten die Herde wild und scheu machte. So kam es einmal zu einem Hirtenbuben, der in der Nähe hütete, und sprach ihn an: "Büeble, hast du nicht Hunger?" Obwohl nun der Kleine, der sich vor der häßlichen, unheimlichen Alten arg fürchtete, erklärte, er habe genug zu essen, so überreichte sie ihm eine Ofennudel, ging dann die Halde hinunter und verschwand. Nachher wurde der Bursche doch neugierig, was es für eine Bewandtnis mit der Nudel haben möchte; als er sie aber entzwei brach, waren im Innern Haare.

Als einmal der Urähne die Kühe zur Weide auf den Platz führte und dann zur Halde hinabtrieb, bemerkte er auf einmal das Weible, das einen roten Rock anhatte, einen runden Filzhut trug und auf einem Tannenstock (Strunk) saß. Auf einmal stand es auf, schaute umher und schrie: Brrr! Und sogleich standen die Kühe alle bewegungslos und steif wie festgebannt da; hernach aber sprangen sie ganz verwildert und rasend den Abhang hinab und davon, ohne daß es möglich gewesen wäre sie aufzuhalten.

Ein andermal war ein Hirte, der Rosse hütete, zum Zeitvertreib auf eine Tanne geklettert, und wie er schon weit oben war, merkte er, daß mit einem Male die Pferde unruhig und stutzig wurden, zu "schnudern" anfingen und dann im schnellsten Laufe davonsprangen. Nun wollte der Bursche schnell die Tanne herabklettern um sich ins Mittel zu legen, und war schon halbwegs herunter, als er das "Ruiweible" gegen die Tanne herankommen sah. Er erschrak sehr und getraute sich nicht mehr vollends herab, schmiegte sich vielmehr an den Stamm an und hoffte, er bliebe von der Alten unbemerkt. Allein das überaus häßliche Weibchen, das ein "zwilchenes Häß" an und einen Strohhut auf hatte, den "Schoopen" unterm Arme und einen Stecken in der Hand trug, kam immer näher, stand dann still, streckte sich und schaute zu ihm hinauf. Da ward es dem droben gar unheimlich zu Mute, und in seiner Bedrängnis machte er das Kreuzzeichen, und nun war das Weible augenblicklich verschwunden, so daß der Bursche davon nichts mehr sah und hörte. Auch ein anderer Hirte in der Nähe hatte zur gleichen Zeit das Weible gegen die Tanne zulaufen sehen und auch bemerkt, daß die Rosse dasselbe zuerst wahrgenommen hatten und dann vor ihr halbverwildert davongesprungen waren.

Als einmal Holzer in der Nähe arbeiteten und zur Brotzeit sich hingesetzt hatten, um zu "vespern", hörten sie auf einmal eine Stimme rufen: "Lise, komm! Lise, komm!" Unter den Arbeitern aber war einer, der Alois hieß. "Was ist denn?" sprach der, und wieder die Stimme: "Lise, komm!" ohne daß man jemanden sehen konnte. Da sagten die Holzer: "Das ist gewiß die malefiz Alte, das Ruiweible", und warnten den Gerufenen, nicht weiter darauf zu achten. Unter ihnen waren aber ein paar junge kuraschierte Burschen; die wollten sich doch überzeugen, ob sie's gewesen, gingen der Stimme nach, und richtig, sie erblickten alsbald an der Halde das steinalte häßliche Weibchen, das sich an den Tannen allerlei zu schaffen machte und dann den Ruin hinunterging. Die zwei Burschen folgten noch eine Zeitlang nach; dann aber überkam sie Furcht, daß sie zurückkehrten und nichts weiteres mehr vom Ruiweible wissen mochten.

Vor etwa 120 - 130 Jahren hatte man in Eschach einen Hirten, der oftermalen schon mit dem Ruiweible Anstände gehabt hatte, so daß er darob halb "rabbiat" geworden sei. Manchmal sei mit dem alten Weible ein junges Mädle gekommen, das gerade so sauber gewesen sei wie die Alte häßlich. Sie tanzte und war lustig, und so hatte der Hirte gar großes Gefallen daran und wurde ganz "närrisch", bis die "Herren" sich über ihn hermachten, ihn benedizierten und von dem Zauber zu befreien suchten. Einmal hatte nun der Hirte in der Nähe sein Messer verloren, und während er darnach suchte, kam mit einemmale das Ruiweible daher und sagte, sie wolle ihm etwas geben, und schätzwohl hat er davon genommen, denn er kam nun "ganz aus dem Zeug". Sie erhob ihn nun in die Luft, und alsbald hörte er wunderschöne Musik "wie beim Hexentanz oder Muetes". Es ging immer höher und weiter dahin, bis es ihn zuletzt bei schrecklichem Gewitter und Hagel herunterließ und er dann unter einer Dachtraufe stand. Den Kopf hatte es ihm ganz verdreht, und auch seine Füße waren ganz verrenkt, so daß die Waden fast nach vorwärts schauten. Er brauchte drei Tage, bis er wieder heimkam. Von dem, was er gesehen und erlebt hatte, zu erzählen, war ihm strengstens verboten worden, und wenn er sich je einmal anschicken wollte, etwas davon zu sagen, so erschien sogleich eine Katze auf dem Gesimse vor dem Fenster, oder es erschien ihm deren gleich eine ganze Schar, daß er dann gern sich wieder Einhalt tat und schwieg. Soviel habe man aber doch aus ihm gebracht, daß er zu "Luftgeistern" gekommen sei. Da sei es gar lustig zugegangen, man habe musiziert und getanzt "wie bei einer Hochzeit". Auch habe man ihm etwas zum Essen vorgesetzt, er habe aber davon nichts nehmen mögen.

Über die Herkunft des Ruiweible behaupteten früher einige, es habe zu Lebzeiten einmal ein Kind ermordet, und da habe man die Kindsmörderin in den Rui hinaus vergraben, und seitdem habe sie da geisten müssen.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 157, S. 162 - 165.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, März 2005.