241. Das Dellermännle.

In der Deller- oder Derrenalpe im Derratal, eine halbe Stunde links von Baad im Walsertal, hat sich ehedem oft das "Dellermännle" eingestellt. Es war ganz klein und alt, hatte ein blaues Gewand und trug einen Sack und eine Haue (Hacke) über der Schulter. Wenn man es viel sah, brach gewöhnlich "der Flug" unter dem Vieh aus, oder er wurde ärger. Einmal hatten in der Alpe Leute Streue gemäht; da ließ sich auch das kleine Männle immer blicken, und wenn die Heuer beim Essen waren, warf es Sand und Erde gegen sie und selbst bis in die Suppenschüssel. Der Breimer Franzef sah es einmal, als er Enzianwurzeln grub, auf einem runden "Nocker oder Hüger", d. i. einem Hügel, den man den Gugger hieß; es schien ebenfalls Wurzen zu graben und hackte mit der "Haue" in den Boden, daß jedesmal die Flügel seines Kittels "hinausflogen". Auf einmal ging das Männle seitwärts vom Gugger hinüber, und nun wollte der Franzef nachsehen, was es denn treibe, und ging auf den Gugger hinauf an den Platz, wo es vorher so fleißig gepickelt. Allein er konnte nun nirgends die mindeste "Spor" entdecken, daß im Boden gearbeitet worden wäre, und auch das Männle konnte er weit und breit nirgends erblicken. - -

Zwei junge Burschen gingen mit den Knechten ihres elterlichen Hauses zur Arbeit in eines der Mähder dieser Alpe. In übermütiger Laune riefen sie dem Dellermändle (sic!), es solle sich zeigen, wenn es wirklich da sei, und sofort erschien es in seinem bekannten Aufzuge, in blauem Gewande, mit einem Sack und einer Haue über den Schultern, und zwar an der andern Bergseite, rasch den Hang in schiefer Richtung hinanlaufend. Die Anwesenden sahen es alle ganz deutlich und riefen ihm, es solle kommen; aber es sah sich nicht um, lief noch eine Strecke weit und verschwand dann spurlos auf einem Platze, der offen und frei dalag.

Ein zweitesmal trug einer dieser Burschen einen Käsekessel aus einer Alpe. Als er auf der Höhe des Wannenberges ankam, dort den Kessel eine kurze Zeit abnahm, um etwas auszurasten, und bei lautloser Stille in diesem zur selben Jahreszeit von Menschen und Vieh gänzlich unbewohnten, weit ausgebreiteten Hochalpengebiete auch in das Derratal hinübersah, dachte er bei sich: Wenn das Dellermännle wirklich existiert, so soll es sich sogleich dort auf der Alpe zeigen; dann werde ich es glauben, daß es ein Dellermännle gibt, und ihm sofort ein Vaterunser beten. Kaum gedacht, so sah er es mit Sack und Haue im gewöhnlichen Anzuge in eiligem Schritte in benannter Hochalpe einherlaufen; es verschwand aber nach einer kurzen Strecke hinter einem Hügel.

Beim Heuen des Mahd Grindlesberg in der Derra-Alpe befanden sich mehrere Personen vor einer kurzen Reihe von Jahren. Eines der Mädchen wurde dort fortwährend vom Dellermändle geplagt. Es riß dasselbe des Nachts an den Haaren, warf ihm beim Kochen Schmutz in die Pfanne, redete mit ihm und ärgerte es dermaßen, daß es schließlich heimging, um Ruhe zu bekommen. Es sah das Mändle; für alle seine Genossen war es dagegen unsichtbar und unhörbar, weshalb diese ihm anfänglich keinen Glauben schenkten.


Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 241, S. 250ff.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.