285. Bolsternanger Stückle.

1.

Seit vielen Jahren hatten die Bolsternanger gefunden, daß die Heuernte im Sommer gar arg viel Schweißtropfen koste, und daß daran nur immer das heiße Wetter schuld sei. Da veranstalteten sie im nächsten Sommer eigene Betstunden, in denen sie "um einen kühlen Heubat" beteten. Von der Geschichte wollen sie aber nichts mehr hören und auch keine Auskunft geben, wie sie mit dem kühlen Heubat gefahren sind.

2.

Einmal legten sie mit großem Fleiß eine Brunnenleitung. Als sie mit der Arbeit fertig waren, und die Gräben alle wieder zugeworfen hatten, stellte es sich heraus, daß sie vergessen hatten die Deichel zu bohren. Böswillige aber sagten, sie hätten geglaubt, es ginge mit ungebohrten Deicheln auch, und die Mühe des Bohrens könnte man sich ersparen.

3.

Zur Zeit, als ihr Tälchen noch eine halbe Wildnis war, hatten sie eine große Fläche abgeschwendet und alles Gebüsch und Gesträuch niedergehauen bis auf die einzelnen Kriesbeerbäumchen, die da und dort darunter standen, und die sie vorsorglich stehen ließen, damit sie hernach recht viele Kirschen bekämen. Das abgehauene Gestrüpp, das dicht die ganze Fläche bedeckte, ließen sie recht trocken und dürr werden, um es hernach anzuzünden, auf daß die Asche den Boden dünge und fruchtbar mache. Aber wie sollten sie es machen, daß die stehengebliebenen Kriesbeerbäumchen von den Flammen nicht Schaden litten? Da war guter Rat teuer, und sie berieten in einer Versammlung lange vergeblich. Endlich kam einem ein guter Einfall. "Man sagt nicht umsonst," sprach er, "was für die Kälte hilft, hilft auch für die Hitze; binden wir die Bäumchen mit Stroh ein, wie man sie im Winter oft gegen die Kälte einhüllt!" Einen so guten Vorschlag hatte noch keiner gemacht, und darum schritten sie auch gleich zur Ausführung. Sie schleppten ganze Wagenladungen von Stroh herbei und wickelten sorgfältig jedes Stämmchen dicht damit ein. Dann zündeten sie an.

Ob die Kriesbeerbäumchen auf solche Weise unversengt geblieben sind und hernach recht viel Kirschen getragen haben, muß man aber die Bolsternanger selber fragen.


Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 285, S. 294f.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.