Die Hungerglocke von St. Kajetan

Im Kloster St. Kajetan gab es eine Hungerglocke. Mit derselben Kajetaner Hungerglocke ist es aber so beschaffen:

Wie ihr wißt, berief der Kurfürst Ferdinand Maria die Theatiner-Mönche nach München. Diese hatten zur sonderlichen Verordnung, daß sie von Almosen leben sollten, sie durften aber zugleich nicht etwa betteln, sondern mußten warten, bis ihnen durch des Himmels Fügung Nahrung zufließe, und nur falls diese Nahrung gar zu lange ausbliebe und fruchtlos 3 Tage verflössen, waren sie berechtigt, eine gewisse Glocke zu ziehen und die Welt draußen auf ihren üblen Zustand aufmerksam zu machen.

Das war sicher nicht mehr als gerecht und billig; denn gar nichts mehr zu haben, geht bei aller Enthaltsamkeit denn doch ein wenig zu weit.

Wie fest nun die Theatiner entschlossen waren, ihre Armut zu bewahren, so sicher verließen sie sich für den Fall der Not auf die eigens gegossene Hungerglocke, hatten jedoch von Anfang bis lange Zeit hinaus keine Ursache, sich derselben zu bedienen, weil der fürstliche Stifter des Klosters und seine Nachfolger dafür sorgten, daß ihnen stets das Notwendigste zukam.

Das ward zu einer solchen Gewohnheit, daß die anderen Leute zu München minder und minder daran dachten, sich gleichfalls mildtätig zu beweisen, weil sie dachten, die frommen Theatiner hätten insoweit doch zu leben.

Wie nun das so war und sich kein Mensch böser Dinge versah, hörte man im Jahre 1722 am St. Peterstag mit einemmal eine Glocke, die man noch nie gehört hatte, und die läutete nicht etwa so lange wie andere Glocken, sondern sie kam fast gar nicht mehr zu Ende.

Da gab es also kein kleines Zusammenstehen und Gered, bis man darauf kam, daß das ganze heftige und helle Geläute von der Kajetaner Hungerglocke herrührte, und als es endlich doch nachließ und es dann nur noch ein paar Mal anschlug, glaubten einige, es sei dem Laienbruder Glöckner etwa gar schon die letzte Kraft ausgegangen, so daß er nicht einmal mehr recht am Glockenstrang ziehen könne.

Auf dies machte sich jedermann auf und beeilte sich, den Theatinern Hilfe zu bringen; gab es also in kurzem Brot, Hühner, Früchte, Kälbernes und Fische, Gerstensaft, und was sonst den Durst stillt, in Menge – weil Holz zum Kochen gehört, ermangelte es an derlei Beisteuer auch nicht, - die Kurfürstl. Hofküche tat es ohnedies allen andern zuvor, und so wurden die Theatiner nicht nur augenblicklich aus ihrer desparaten Lage gerettet, sondern sie konnten sich für ein paar Wochen sichern, was sie mit Dank erkannten.

So war es das eine Mal; fünfzehn Jahre später kam die Sache noch einmal vor. Später aber nicht mehr und es war auch nicht von Nöten; denn aller guten Dinge sind drei, aber das Hungerleiden ist nicht dabei; also ist hier zweimal schon hinreichend.

Quelle: Franz Trautmann, Alt-Münchener Wahr- und Denkzeichen, S. 137. Verlag von M. Seitz, Augsburg.
Altbayerische Sagen, Ausgewählt vom Jugendschriften-Ausschuss des Bezirkslehrervereins München, München 1906.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Dezember 2013. 
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