Die Nonnen vom Glaswaldsee

Wo der Wildsee oder Glaswaldsee liegt, da stand ehemals ein Nonnenkloster; das ist aber versunken und das Wasser hat es bedeckt. Man heißt den See drum manchmal auch den Nonnensee. Noch sind der Fahrweg und das Geleis in den Felsen zu sehen, der Weg führt grad auf den See und hat keine Umkehr, denn er ging von alters her in das Kloster, wo man umwenden konnte. Die Nonnen saßen oft am See, als ihr Kloster untergegangen war und sangen ihr Lied; kam aber jemand in die Nähe, so sprangen Sie alle ins Wasser. Es waren allzeit zwölfe. Sie tanzten sehr gern und kamen oft zu den Leuten in die Täler, aber immer nur eine allein, und niemals hat man gesehen, dass eine Speis oder Trank angenommen hat. Sie nahmen zwar von ihrem Tänzer das Glas und taten, als wenn sie trinken wollten, sie brachten aber nur zum Mund und tranken nicht. Daher sagt man auch, wenn man es einer Jungfer zubringt und sie den Wein nur mit den Lippen versucht: sie trinkt wie einen Nonne, die an dem See ihr Liedlein singt. Diese Nonnen trugen weiße Kleider, waren heiter und froh, aber sie gaben keine Antwort, wenn man sie nach ihrem See fragte. Einen Tänzer, der ihnen diese Frage tat, den verließen sie und kamen nicht mehr an einen solchen Ort. Man hatte sie aber sehr gern bei Hochzeiten, sie brachten der Braut Heil und Segen, daher gingen die Hochzeiterinnen an den See und luden sie ein mit lauten Rufen: "Ich habe Hochzeit, kommt zum Tanz!" Das geschah immer drei Tage vorher; wollte eine Nonne kommen, so merkte man es am Plätschern des Wassers. Wenn aber eine Nonne kam, musste das Brautpaar versprechen ihr unbedingt zu sagen, wann es nachts Zwölfe schlug. Sie segnete dann das Brautpaar ein und ließ sich von ihm bis an die Haustür begleiten. Man küsste ihr die Hand, und dann verschwand sie. Diese Nonnen tanzten auf eine eigene, sittsame Art, nicht so wild und roh, wie jetzt die Leute tun, sondern sie schwebten nur mit leichten Schritten dahin.

Lichterspiel Glaswaldsee © Klaus Kramer
Zauberhaftes Lichterspiel auf dem Glaswaldsee im Schwarzwald
© Klaus Kramer, www.klauskramer.de

Einmal geschah es, dass ein Brautpaar die Stunde vergaß und als die Nonne fragte, so war es ein Uhr. Da sank sie mit einem Schrei zusammen und bat den Bräutigam, mit ihr zu gehen. Als Sie an den See kamen, blieb er stehen, denn sie hatte ihm ihr Schicksal vorausgesagt und ihn gebeten, dass er es ansehen solle. "Wenn ich jetzt in den See hinabsinke", sagte sie, "und er wird weiß wie Milch, so ist es ein gutes Zeichen; wird er aber blutrot, so ist es um mich geschehen."

Sie sprang in den See, aber sogleich schoss ihr Blut herauf. Der Bräutigam ging traurig nach Forbach heim und seitdem singen die Nonnen nicht mehr am See, wo sie sonst im Frühjahr sich an der Sonne wärmten.
Mittags um zwölf hört man manchmal in der Tiefe des Sees die Glocken läuten. Auch Gesang und Musik will man dorther schon vernommen haben. Ein alter Bauer, namens Volz, aus dem Schönmünzachtal bewahrte in den fünfziger Jahren noch einen großen Schlüssel, der zu der versunkenen Kirche gehören soll. So sagt man in Schönmünzach.

Quelle: J. Künzig, Schwarzwaldsagen, 1930, Emailzusendug von Klaus Kramer am 14. Mai 2006

Anmerkung

Der Glaswaldsee liegt 839 m hoch im nördlichen Schwarzwald zwischen Bad Griesbach und Bad Rippoldsau-Schapbach. Er gehört zu den sieben Karseen des Schwarzwalds. Den Glaswaldsee hatte ein Eiszeitgletscher aus dem Buntsandstein herausgehobelt. Er ist bis zu 11 Meter tief. An drei Seiten ist der See von 100 m hohen bewaldeten Steilhängen umrahmt. 

Glaswaldsee © Klaus Kramer
Der Glaswaldsee, einer der Karseen des Schwarzwalds
© Klaus Kramer, www.klauskramer.de

Die Bergseen des Schwarzwaldes, die wie dunkel schimmernde Waldaugen in tiefen Bergkesseln ruhen, galten den Menschen von jeher als unheimlich. Das Volk hielt sie für unergründlich tief und unter der Wasseroberfläche vermuteten die Menschen eine andere, fremde Welt der Wassergeister.

Die ersten Menschen, die sich während des Mittelalters inmitten der unerschlossenen Urwälder des Schwarzwaldes niederließen, waren Glasbläser mit ihren Wanderglashütten. Für ihre Arbeit benötigten sie große Mengen Holz. Für die ansässigen Bauern und Viehzüchter waren es fremdartige Gesellen, die dort im Wald aus Kieseln, Feuer und Pottasche kostbares Glas für die Stadtbevölkerung herstellten. Und es ranken sich allerlei Sagen und Mythen um das geheimnisvolle Handwerk.

Glaswaldsee Zulauf © Klaus Kramer
Zulauf vom Glaswaldsee, Schwarzwald
© Klaus Kramer, www.klauskramer.de

Der Holzbedarf einer Glashütte war immens. Für 1 kg Waldglas wurden 1 Raummeter Holz benötigt. Eine einzige Glashütte schlug im Jahr 2.000 bis 3.000 Festmeter, das waren 20 bis 30 ha Wald. Hatte man die Bäume in der Umgebung der Hütte abgeholzt, wurde die Wanderglashütte an einen anderen Platz verlegt, bis auch hier wieder alles Holz geschlagen war. So zogen die Glasbläser mit ihren Hütten in immer entferntere unbesiedelte Gebiete, bis hinauf in die Hochtäler. Mit der Glashütte zog das ganze Gefolge, das in der Glasherstellung beschäftigt war.

Eine einzige Wanderhütte konnte auf diese Weise ganze Landstriche für die nachrückenden Ackerbauern und Viehzüchter vorbereiten. Als Folge der Waldglasproduktion entstanden in den Höhenlagen des Schwarzwalds Hof um Hof, Siedlung um Siedlung. Im 19 Jahrhundert starb die Schwarzwälder Glasherstellung aus - wegen Brennholzmangel.

Wie viele andere Orte im Schwarzwald, so hat auch der Glaswaldsee von einer Glashütte seinen Namen erhalten, die im 17. Jahrhundert samt einem kleinen Weiler im Seebachtal lag. Dort wurde das Glas für die Flaschen des Rippoldsauer Sauerbrunnens hergestellt.

Auch die Flößer nutzten den See. Sie hatten ihn als Schwellweiher aufgestaut. Das angestaute Wasser diente dazu, die gefällten Baumstämme zu Tal zu schwemmen.

Im Jahr 1743 ereignete sich eine Katastrophe. Durch die rasche Schneeschmelze hatte sich so viel Druck hinter der Staumauer des Glaswaldsees aufgebaut, dass der Damm brach. Der aufgestaute See lief schlagartig aus und die mächtige Flutwelle, die nun durchs Seebachtal rollte, riss mehrere Höfe und ihre Bewohner mit.

Klaus Kramer