Die Juden im Geisterschloß.
Hirsch Levi von Schmieheim erzählte Folgendes:
Am 5ten Februar 1801 ging ich mit einem Bekannten, Namens Kafele, spät
in der Nacht von Schutterthal nach Hause. Als wir auf den Zimmerplatz
unseres Ortes kamen, sahen wir dort ein stattliches Schloß stehen,
dessen Fenster hell erleuchtet waren. Wir erinnerten uns gleich der oft
gehörten Erzählung: daß alle dreihundert Jahre auf dem
Platz ein Schloß sich zeige, worin viele Geister Zusammenkunft halten.
Nicht ohne Furcht gingen wir näher, wurden aber, unweit des Gebäudes,
von einem hochgewachsenen Mann im Harnisch angehalten und auf eine benachbarte
Bank gewiesen. Kaum hatten wir uns darauf gesetzt, so schlug die Schloßuhr
drei Viertel auf zwölf, und viele Frauen und Ritter, deren einer
eine Fahne trug, zeigten sich auf dem Söller. Sie schienen jemand
zu erwarten; aber während sie noch so da standen, schlug es zwölf,
und sogleich hieß uns der lange Mann ihm folgen, was wir mit erschrockenem
Herzen auch thaten. Er führte uns in das Schloß und in einen
großen Saal, welcher von einer Menge Lichter erhellt und mit einem
scharlachenen Bodenteppich belegt war. An seinem Ende befand sich ein
prächtiger Thron und darüber ein Platz für Spielleute,
deren mehrere mit rothbraunen Gesichtern und weißgrauen Bärten
dort saßen. Auf Geheiß unseres Führers setzten wir bei
der Thür uns nieder, zu der bald darauf ein König und eine Königin
mit goldenen Kronen, die Frauen und die Ritter mit der Fahne, unter Pauken-
und Trompeten-Schall, herein traten. Nachdem das Königspaar sich
auf den Thron begeben, die übrigen aber rechts und links desselben
sich aufgestellt hatten, ward alles stille, und der König hielt eine
Rede in einer uns unverständlichen Sprache. Als sie zu Ende war,
nahmen die Ritter Helme und Panzer, die Frauen die Schleier ab und legten
sie bei Seite. Der König und die andern Männer hatten rothbraune
Gesichter mit weißgrauen Bärten, und das Antlitz aller Frauen
war ebenfalls von jener Farbe. Nun ließen sich alle an den im Saal
aufgestellten Tafeln nieder, und auch wir mußten, auf einen Wink
des Königs, uns dahin, neben unsern Führer, setzen. Von der
Dienerschaft wurden Speisen und Getränke der verschiedensten Art
aufgetragen, welche uns besser schmeckten als alles, was wir noch in unserm
Leben genossen hatten. Während des Essens herrschte die tiefste Stille;
nach dessen Ende aber ließ das Tonspiel sich wieder hören,
und die Ritter und Frauen begannen einen uns unbekannten Tanz. Mitten
unter demselben ertönte die Schmieheimer Frühglocke, und im
Augenblick hörte Tanz und Tonspiel auf; die Ritter und Frauen griffen
nach ihren Helmen, Panzern und Schleiern, und unser Führer winkte
uns, mit ihm fortzugehen. Als wir uns im Freien befanden, sagte er zu
uns: "Gehet jetzt eures Weges; hütet euch aber, nach dem Schloß
euch umzusehen! in dreihundert Jahren feiern wir hier wieder ein solches
Fest." Nicht lange waren wir von ihm weg, so hörten wir hinter
uns krachen; ich schaute, trotz Kafeles Abmahnen, um, und sah das Schloß
mit allem, was darin war, in die Erde versinken. Zur Strafe für diesen
Vorwitz ward ich bald darauf, als ich allein war, von unsichtbarer Hand
ergriffen und mitten in den Teich beim Waldeck gestellt. Lange schrie
ich vergebens um Hülfe; endlich aber kamen zwei Männer herbei
und zogen mich aus dem Wasser, worin ich bis an den Hals gesteckt war.
Quelle: Bernhard Baader,
Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Karlsruhe
1851, Nr. 103.