Die Schloßjungfer.
Bei dem kleinen Städtchen Güntersberge auf dem Unterharze findet
man auf einem Berge - Kohlberg heißt er - Spuren einer vormaligen
Burg, welche die Güntersburg geheißen haben soll. Hier ist's
gar nicht recht geheuer. Die Schloßjungfer wankt da herum, und spukt
dem Neugierigen, der sie belauschen will, etwas vor.
Es hauste hier vor uralten Zeiten ein Ritter, Bodo genannt. Es war ein
gar lustiger Finke und lockerer Gesell. Das Handwerk des Raubens trieb
er gleich seinen Nachbarn, und wer die unten am Berge vorübergehende
Harzstraße zog, der kam nicht ungezwickt durch. Am liebsten fing
er hübsche Dirnen auf, führte sie auf seine Burg, und sperrte
sie ein. Warum? das verschweigt die Sage.
Bodo trieb aber das Ding zu arg, er hieß bald im ganzen Harzgau
der Mädchenräuber. Keine Dirne wagte sich die Straße mehr,
sondern nahm lieber einen großen weiten Umweg.
Das hörte ein Zauberer, der tief im Harze in einem von Felsen und
düstern Tannenwäldern umschlossenen Thale seine Wohnung hatte.
Er war ein mächtiger Mann, und trieb mit allen Naturkräften
ein beliebiges Spiel. Aber nur Gutes zu wirken, übte er seine Macht,
nur den Bösen strafte er durch seinen Zauberstab.
»Halt, Bursche!« sprach er einst, »dein Unwesen soll
sich enden!«
Gegen der Burg über im Walde verbarg er sich, das Thun und Lassen
Bodo's zu beobachten, ihn auf der That zu ertappen. Aber lange Zeit mußte
er vergebens warten; denn es zog, wie gesagt, gar selten einer die Straße.
Endlich kam aber ein Handelsmann aus Nordhausen vorbei, der nach Quedlinburg
zu Markte ging. Er saß auf einem Maulthiere, und neben ihm her ritt
sein Töchterlein, gar klüglich und fein in Mannskleider gesteckt.
Noch war die Sonne nicht aufgegangen, und so dachte er, wird dich wohl
Ritter Bodo nicht gewahren, und, sieht er dich, doch deine Iduna nicht
erkennen. Kaum gewahrte aber der Burgwärter von der Zinne des Thurms
sie beide, da stieß er in das Horn, zum Zeichen, daß sich
Beute sehen lasse.
Bodo sprengte mit seinen Reisigen den Berg hinab. Iduna schrie vor Schrecken,
ward ohnmächtig, verrieth dadurch die Verkleidung, und ward gefangen.
Hohnlächelnd ließ Bodo den Vater ziehen, der Gold und Geld
anbot, ihm seine einzige Tochter zu lassen.
»Geh, mache, daß du fortkommst, alter Kauz,« sprach
er, »und danke Gott, daß ich dir's Leben lasse.«
Ohne Besinnung schleppte man die Dirne auf die Burg. Grinsend stand da
der Räuber vor der Unschuld, und jauchzte über den herrlichen
Fang, wie er lange keinen gemacht hatte.
»Erwache!« rief er ihr zu, »erwache!« allein sie
blieb besinnungslos liegen. Da wollte der Bösewicht die Rose brechen;
aber plötzlich krachte es durch seine weite Burg wie Donnerschläge.
Die Erde bebte, und hinab sank in die Tiefe des Berges das steinerne Gebäude
in Schutt und Trümmern.
Das that der Zauberer. Ergrimmt hatte er Bodo's Raub mit angesehen, und
so strafte er den Verruchten vor der Vollendung der Schandthat.
Der schuldlosen Dirne aber vergönnte er, an gewissen Tagen auf Erden
sichtbar herum zu wandeln, und seitdem sieht man sie im weißen Kleide
mit einem Bund Schlüssel an der Seite und einem Blumenstrauß
in der Hand, und nennt sie die Schloßjungfer. Sie beschenkt oder
züchtigt die, mit denen sie zusammentrifft, je nachdem man sich gegen
sie benimmt.
Einst hörte ein Mönch aus einem nahen Kloster von ihrem Herumwandeln.
Die Neugierde, vielleicht auch noch etwas anderes, trieb ihn hin zur heiligen
Stätte, um sie kennen zu lernen. Er saß eine Weile auf den
alten Mauern und wartete, aber, es erschien nichts. »Hm,«
dachte er, »sollst wohl kommen!« zog hierauf den mitgenommenen
Höllenzwang aus der Tasche, und fing in Zauberformeln an, die Jungfrau
laut zu citiren. Da erschien sie plötzlich, dicht vor ihm stehend.
»Was willst du?« sprach sie mit unfreundlicher Miene.
Der Mönch stutzte Anfangs ob der Erscheinung, sammelte sich jedoch
bald, und grinste freundlich sie an, bat, sie möchte sich zu ihm
setzen, möchte ihm Gold geben, von ihren köstlichen Steinen
etwas bringen; und dabei wollte er mit gar behaglicher Gebehrde eines
ihrer weißen Patschchen vertraulich fassen. Aber die Schloßjungfer
wurde böse über solche Zudringlichkeit, nahm ihr Schlüsselbund
von der Seite, schlug damit auf den Mönch los, daß dieser erschrocken
sammt seinem Höllenzwange den Berg hinab eilte, zufrieden, nur blaue
Mahle mitzunehmen.
Freundlicher war sie einem Schäfer, der zwischen den alten Mauern
seine Schafe weiden ließ. Hingestreckt auf den Rasen, dachte er
an nichts weniger, als an die Schloßjungfer, als diese mit einem
Male auf zwanzig Schritte vor ihm stand, und Blumen in der Hand hielt,
die sie in einen Strauß zu ordnen schien. Ohne sich zu bewegen,
lauschte er unterm Hute hervor nach ihr hin, zu sehen, was sie wohl beginnen
möchte. Indem entfiel ihr eine der Blumen, und da sie sie liegen
ließ, so sprang er hinzu, hob sie auf, gab in seiner Einfalt der
Blume einen Kuß, steckte sie auf seinen Hut, trat einen Schritt
zurück, und fragte ganz bescheiden:
»Jüngferchen, hat sie das Blümchen verloren? Hier ist's!«
Aber die Schloßjungfer antwortete nichts, und winkte, ihr zu folgen.
Der Schäfer setzte den Hut mit der Blume auf, und folgte. An hundert
Schritte waren sie stillschweigend gegangen, da öffnete sich vor
der schönen Jungfrau die Erde, und sie stieg hinab. Dreist ging der
Schäfer hinterher, und tief und immer tiefer schritten sie ins Dunkel
hinein. Als sie so ein hundert Klafter tief waren, da ward es plötzlich
hell, und vor dem erstaunten Schäfer stand ein prachtvolles Schloß
mit hohen Thürmen und schönen Zimmern, die alle voll Gold und
Silber, blitzenden Steinen und köstlichen Perlen waren. Wie starrte
er alle die schönen Sachen an, und schlug voll Verwunderung in seine
Hände!
Die Schloßjungfer war indessen verschwunden, und da der Schäfer
meinte, daß er nicht umsonst hierher geführt worden sey, so
öffnete er seinen Ranzen, warf heraus, was drin war, und füllte
ihn mit Kostbarkeiten aller Art, mit Gold und edlem Schmuck, bis nichts
mehr hinein wollte. Dann stopfte er alle Taschen voll, alle Winkel in
seiner Kleidung, wo nur etwas zu verwahren war, und zuletzt nahm er den
Hut umgekehrt in den Arm und füllte auch diesen an. Dabei verlor
er aber die Blume davon. Die Gierde, immer mehr von den schönen Kostbarkeiten
einzustecken, ließ es ihn nicht bemerken; auch hörte er nicht,
wie im Nebenzimmer eine seufzende Stimme rief: »Ach! vergiß
das Beste nicht!« und eilte, da er reichlich bepackt war, zurück.
Nochmals rief die Stimme ihm laut jene Warnung nach, aber Schrecken und
Angst, den Mammon wieder zu verlieren, machten ihn jetzt verwirrt. Er
lief fort, kam wieder ins Freie, und mit Krachen schloß sich hinter
ihm die Oeffnung.
Erschöpft setzte er sich nieder, sann nun der dunkeln Worte nach,
und fand endlich, daß er die schöne Blume verloren hatte. Umsonst
suchte er sie. Sie war fort und blieb fort.
* * *
Am ganzen Harze ist das Mährchen von einer
Wunderblume einheimisch. Der Schauplatz ihrer Wirksamkeit wird in verschiedenen
Erzählungen bald da, bald dort hin verlegt. In allen wird sie zwar
gefunden aber immer wieder verloren, und mit ihr auch das durch ihre Zauberkraft
Erlangte. Dieß Mährchen macht jedoch hiervon eine Ausnahme.
Der Schäfer behält die Reichthümer ungeachtet der verlornen
Blume, auch nicht in eine werthlose Sache verwandeln sie sich. Mein Referent,
ein alter Mann aus Güntersberge, wollte wenigstens von keinem andern,
als diesem Ausgang des Mährchens, je etwas gehört haben.
Quelle: Friedrich Gottschalck, Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen,
Halle 1814